Die Lage der Christen in Gaza

13.05.2024 | Vor dem Ausbruch des Krieges lebten etwa 1000 Christen in Gaza. Etwa 850 sind geblieben. Sie leben auf Kirchengeländen in Gaza-Stadt.

Vor dem Rückzug Israels aus dem Gaza-streifen 2005 lebten etwa 5000 Christinnen und Christen in Gaza. Bis zum Ausbruch des Krieges reduzierte sich die Zahl auf 1000. Nach acht Monaten Krieg sind etwa 850 übriggeblieben. Sie leben auf zwei Kirchengeländen in Gaza-Stadt unter den geschätzt 400.000 Einwohnern des nördlichen Gazastreifens, die nicht vor der israelischen Militäroffensive in den Süden geflüchtet sind. Im Norden gibt es kaum sauberes Trinkwasser und die Ernährungssituation ist katastrophal. Viele Menschen wurden durch Kriegshandlungen verletzt oder sind krank; für sie gibt es fast keine Behandlungsmöglichkeiten.

Auf dem Gelände der katholischen Kirche zur Heiligen Familie, zu dem auch Schulgebäude, drei Klöstern sowie Pflegeheime gehören, befanden sich im März 2024 noch rund 560 Christen, darunter 140 Kinder und 84 Senioren. Sieben Ordensschwestern und ein Priester unterstützen die Christen und ihre muslimischen Nachbarn. Die Gemeinde gibt mehrmals in der Woche Mahlzeiten oder Brot für die Menschen auf dem Pfarreigelände aus sowie Wasser und andere Grundversorgungsgüter. Auch die griechisch-orthodoxe St.-Porphyrios-Kirche ist Zufluchtsstätte für Christen und leistet Nothilfe. Sie gibt Wasser, Mahlzeiten sowie Kraftstoff aus und stellt Waschgelegenheiten zur Verfügung. Diese Nothilfen ermöglichen u. a. das Lateinische Patriarchat von Jerusalem, zu dem die katholische Gemeinde gehört, sowie der Sozialdienst des nahöstlichen Kirchenrates (DSPR-NECC) mit Unterstützung ihrer internationalen Partner.

Von den ursprünglich 1000 Christen konnten etwa 120 den Gazastreifen mit Notvisa oder ausländischer Staatsangehörigkeit verlassen. 30 Christen starben in den ersten Kriegsmonaten, 17 (nach einigen Quellen 16 bzw.18) davon am 19. Oktober bei einer Bombardierung der Gegend um die St.-Porphyrios-Kirche in Gaza-Stadt. Dabei wurden Teile des Kirchenkomplexes schwer beschädigt. Am 16. Dezember erschossen israelische Scharfschützen zwei Christinnen auf dem katholischen Pfarr-Gelände und verletzten acht Personen. Zuvor beschoss ein Panzer ein Wohngebäude auf dem Kirchenkomplex und zerstörte dessen Strom- und Wasserversorgung.

11 Christen starben aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung. Gegenüber ACN International beschreibt George Akroush, Projektkoordinator für das Lateinische Patriarchat von Jerusalem, das Schicksal eines katholischen Christen: »Einer der erschütterndsten Fälle sei der von Hani Abu Daud, einem 48-jährigen Mann, der regelmäßig Dialyse brauchte. Da die Krankenhäuser im Norden nicht funktionsfähig waren, hatte er sich auf der Suche nach einer Behandlung in den Süden begeben müssen. Aufgrund der Zunahme der Angriffe in diesem Teil der Region war jedoch auch dort keine Behandlung mehr möglich. Hani starb allein, weit weg von seiner Frau und seinen Kindern. Es sei ihm nicht erlaubt worden, nach Hause zurückzukehren, um sich von seiner Familie zu verabschieden. Er wurde im Süden begraben, wo es weder Geistliche noch christliche Friedhöfe gibt.«

Katastrophale Situation im Norden Gazas

Nader Abu Amsha, Direktor des DSPR-MECC, berichtet in einer Veröffentlichung des Ökumenischen Rates der Kirchen: „Die Situation im Norden Gazas, wo sich die beiden Kirchen befinden, ist wirklich katastrophal. In der vergangenen Woche gab es heftige Kämpfe ganz in der Nähe der Kirchen, sodass es für die Menschen unmöglich war, diesen Schutz zu verlassen, um Lebensmittel zu besorgen und Hilfe zu suchen … Die Menschen essen alles, was sie finden können – sie essen Gras und Blätter von Bäumen … Wir haben die Angriffe israelischer Panzer auf Gruppen von Menschen erlebt, die auf die Verteilung von Nahrungsmitteln und Hilfsgütern gewartet haben. Die Militärs hindern mit Gewalt Nahrungsmittel- und Hilfskonvois an der Weiterfahrt in den Norden Gazas und stoppen auch LKWs, die den Norden Gazas zu erreichen versuchen.“

(Update 30.05.2024)

Quellen und Links

30 Christen sind bislang im Gaza-Konflikt ums Leben gekommen, während sich die humanitäre Lage weiter verschlechtert. In: ACN International, 9. Februar 2024

Since start of Israel-Hamas war, 3% of Gaza’s Christians dead. In: The Jerusalem Post, 17. Februar 2024

Vatican News berichtet regelmäßig über die Situation der Christen in Gaza
Heiliges Land: Katholische Pfarrei in Gaza von Hungersnot bedroht, 21. März 2024
Christen im Gazastreifen: 27 Tote seit Kriegsbeginn, 5. Januar 2024

Eine Autorin des Magazins „The New Yorker“ beschreibt sehr detailiert den Scharfschützenangriff auf den katholischen Campus in Gaza, bei dem zwei Katholikinnen erschossen wurde. Ihre Quelle ist Nabilah Saleh vom Orden der Rosenkranzschwestern, die bis April 2024 in der Pfarrei wirkte.
The Dilemma of Gaza’s Christians. In: The New Yorker, 24. Januar 2024

Während einer Besuchsreise in England wurde der katholische Priester von Gaza-Stadt, Gabriel Romanelli, interviewt. Er wurde zu Beginn des Krieges während eines Jerusalemaufenthaltes von Gaza abgeschnittten und konnte bisher nicht zurückkehren. Die Gemeinde leitet sein Stellvertreter, Pfarrer Youssef Asaad.
Gaza’s priest | Fr Gabriel Romanelli. In: Catholic Bishops‘ Conference of England and Wales, 27. April 2024

Facebook-Seite der Kirche zur Heiligen Familie

Facebook-Seite der St.-Porphyrios-Kirche

Foto: Glockenreiter der St.-Porphyrius-Kirche in Gaza-Stadt mit benachbartem Minarett (Mazur/catholicnews.org.uk – CC BY-NC-ND 2.0 Deed)