Der jüdische Psychologe Mark Braverman beobachtet in den Kirchen eine Tendenz, die Menschenrechtsverletzungen in Palästina nicht zu thematisieren, weil sie sich zu einem unkritischen christlich-jüdischen Dialog verpflichtet sehen. Für die Lösung der Palästinafrage setzt er auf einen Boykott Israels.
Am 16. Juni 2015 war der Aktivist und Autor Mark Braverman auf Einladung des Jerusalemsvereins und mit Unterstützung der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft zu einem Vortrag in Berlin.
Er wolle „Tacheles reden“, kündigt Mark Bravermann am Anfang seines Vortrages im gut gefüllten Saal des Berliner Missionshauses an, und mit klaren und eindeutigen Positionen zum kirchlichen Engagement in der Palästinafrage enttäuscht er sein Publikum nicht.
Braverman wurde 1948 als Sohn jüdischer Eltern in Philadelphia (USA) geboren. Er arbeitete viele Jahre als klinischer Psychologe und ist auf Krisenintervention und Traumatherapie spezialisiert. Aufgewachsen in einer traditionell jüdischen Umgebung hat er im Laufe seines Lebens zunehmend das hinterfragt, was er heute als allgemeine jüdische Weltsicht versteht. Er charakterisiert diese als vollständige Verschmelzung von Zionismus und jüdischem Glauben nach dem Holocaust und der israelischen Staatsgründung. Der israelische Staat werde – religiös aufgeladen – als Rettung der Juden nach 2.000 Jahren Leid verstanden. Er biete Schutz vor der drohenden Vernichtung des jüdischen Volkes. Um diese Schutzfunktion aufrechtzuerhalten, seien aus jüdisch-israelischer Sicht alle Mittel erlaubt, auch solche, die Unrecht sind. Damit verbunden ist ein Gefühl der Einzigartigkeit und Überlegenheit der Juden. Er sei mit einer „Mauer im Kopf” aufgewachsen: Juden hier, Gojim (Nichtjuden) dort, sagt Braverman.
Entscheidende Anstöße für seine Menschenrechtsarbeit hat Mark Braverman im Jahr 2006 bei seinem ersten Besuch des Westjordanlandes, vor allem in Gesprächen mit arabischen Christen, bekommen. Es habe ihn beeindruckt, als eine arabische Christin auf die Frage, wie sie die Besatzung ihrer Heimat ertragen könne, antwortete: „Ich folge Jesus nach!” Seit diesen Begegnungen sieht er in Jesus einen palästinensischen Juden, der sich dem Anpassungsdruck unter der römischen Besatzung mit dem Festhalten am jüdischen Glauben und gewaltlosem Widerstand entgegengestellt hat. Jesus habe die Essenz der hebräischen Bibel und des jüdischen Glaubens – nämlich soziale Gerechtigkeit – als Botschaft, die alle Völker angeht, in die Welt gebracht. „Jesus war der beste Jude!“, ist der Psychologe überzeugt.
Mit diesen Einsichten und den Einblicken in das Leben der Palästinenser unter der israelischen Besatzung suchte Braverman in Synagogen und Kirchen das Gespräch. Die Synagogen blieben ihm verschlossen. In den Kirchen gab es eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber der Menschenrechtssituation in Palästina, aber Bedenken, das Thema zu vertiefen und sich aktiv für die Palästinenser einzusetzen. Die Begründung: Man wolle den christlich-jüdischen Dialog nicht gefährden, zu dem Christen aufgrund ihrer Mitschuld an dem Leiden der Juden und am Holocaust verpflichtet seien. Braverman stellte ihnen gegenüber klar, dass er von einem christlich-jüdischen Gespräch, in dem Kritik an israelischer Politik verboten sei, wenig halte. „Das ist gerade nicht, was Jesus von euch erwartet!“ Er sieht Christen in der Pflicht, sich in biblisch-prophetischer Tradition für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und damit für ein Ende der Besatzung Palästinas und der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen.
In den deutschen Kirchen sieht Braverman die gleiche Konzentration auf einen christlich-jüdischen Dialog, der die Palästinafrage ausklammert. Als Beispiel nennt er den Deutschen Evangelischen Kirchentag, der seit Jahren keine größeren Veranstaltungen über Palästina zulässt, mit der Begründung, die Beziehungen zu jüdischen Partnern nicht gefährden zu wollen.
Sein Einsatz für den palästinensischen Freiheitskampf führt den US-Amerikaner zu der Forderung, Israel zu boykottieren. Er sieht Israel ohne solchen Druck von außen als nicht reformfähig an und vergleicht die israelische Abgrenzungs- und Siedlungspolitik mit der des südafrikanischen Apartheidstaates. Braverman betont, dass kirchliche Anstöße für die Antiapartheidbewegung entscheidend waren, etwa die Vollversammlung des Reformierten Weltbundes in Ottawa 1982, die Apartheid zur Sünde erklärte, oder das Kairos-Dokument von 1985 (das dem palästinensischen Kairos-Dokument von 2009 als Vorbild diente). Das Beispiel Südafrikas, mit dem Ende der Apartheid im Jahr 1994, lässt Braverman hoffen, dass Boykott, Desinvestition und Sanktionen auch zu einem Ende der Besatzung der Westbank und zur Freiheit für Gaza führen. Er ist überzeugt: „Die Geschichte verläuft in Richtung Gerechtigkeit!“