14.06.2024 | »Wie geht es dir, meine Schwester?«, hat die israelische Friedensorganisation Women Wage Peace Frauen in Hinblick auf den Hamas-Terror am 7. Oktober gefragt und die Erfahrungsberichte auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht. Dr. Yeela Raanan aus Kissufim und ihre Tochter konnten sich vor den Terroristen verstecken.
Sechs Monate sind bereits vergangen. Wie alle Geschichten vom 7. Oktober beginnt auch meine mit demselben Satz: »Ich wachte um 6.30 Uhr bei ›Rotem Alarm‹ auf, sprang sofort aus dem Bett und rannte in den Schutzraum.«
Ich war zu Hause, in Kissufim, mit meiner 12-jährigen Tochter Shani. Mein Partner war im Ausland. Wir haben zwei Schutzräume, weil wir ein altes Haus haben. Durch die Explosion fiel der Außengriff des Schutzraumes ab. Ich habe versucht, den Leiter des Sicherheitsdienstes und einen Nachbarn um Hilfe zu rufen. Keine Antwort. Ich öffnete das Fenster, um zu versuchen, hinauszukriechen.
Auf dem Weg dorthin sah ich einen Mann in Militäruniform, in einem Auto, der mit einem Gewehr am Fenster saß; sie fuhren sehr schnell an meinem Fenster vorbei. Ich verstand nicht – was ist da los? Das ist nicht wichtig. Ich schloss das Fenster. Am nächsten Tag verstand ich, dass ich die Hamas im Auto von Shlomo Mansur gesehen hatte; er wird immer noch als Geisel gehalten. Ich kroch aus dem Fenster, rannte durch das Haus, holte Shani aus dem Schutzraum und dann gingen wir in den zweiten Schutzraum. Offenbar hat uns das das Leben gerettet.
Die Terroristen waren in unserem Haus – Sie machten eine Menge Lärm, zerschossen die Fenster, schlugen die Tür mit einem Hammer ein, warfen Glasflaschen auf den Boden, zerbrachen den Kühlschrank, stellten Schränke auf den Kopf und stahlen Dinge. Shani und ich sind im Schutzraum, umarmen uns im Bett und flüstern: »Mami, werden sie uns umbringen?« »Vielleicht.« »Mami, warum sind sie hier?« Was soll ich darauf antworten? Also sagte ich scherzhaft: »Weil ich Kaffee gemacht habe. Sie haben ihn gerochen und wollten welchen.« »Mama, was wirst du tun, wenn sie die Tür öffnen?« Ich wollte ihr ein wenig Hoffnung machen, also sagte ich: »Ich werde mit ihnen auf Arabisch reden und ihnen sagen, dass ich zu den Guten gehöre.«
Sie öffneten die Tür nicht, offenbar weil der erste Schutzraum deutliche Anzeichen dafür aufwies, dass wir dort gewesen waren. Der zweite Schutzraum liegt an einem ungewöhnlichen Ort, und sie hatten keinen Grund, ihn zu suchen. Wir wurden gerettet.
Am nächsten Tag, nachdem die Soldaten uns aus dem Haus gebracht hatten und ich mit meinem Partner gesprochen hatte, fragte er: »Und was wolltest du den Terroristen sagen? Er überraschte mich mit dieser Frage. Ich hatte nicht vor, ihnen etwas zu sagen. Ich glaubte nicht, dass es helfen würde. Meine Antwort an Shani sollte sie in dieser bedrohlichen Situation ein wenig beruhigen.
Meine beiden erwachsenen Söhne leben an der Grenze, der eine in einer Wohnung ohne Schutzraum in Kissufim, der andere mit seiner jungen Familie in der südlichen Gazagürtel. Um 6:30 Uhr sagten sie alle, dass es ihnen gut ginge. Aber eine Stunde später war mein Sohn in Kissufim »verschwunden«. Es war unerträglich, fünf Minuten von seiner Wohnung entfernt zu sein und nicht nachsehen zu können, wie es ihm geht. Erst um 15.30 Uhr konnte er sich mit uns in Verbindung setzen. Er hat überlebt.
Während der 24 Stunden im Schutzraum, ohne Strom, ohne Kommunikationsmittel und mit einem Krieg im Rücken, habe ich das Ausmaß der Katastrophe nicht wahrgenommen. Erst Tage später begann ich, die Katastrophe zu begreifen, ebenso wie das Russische Roulettespiel, das wir gewonnen hatten. Eine Frage des Glücks.
Sechs Monate später, nach Monaten in Hotels, zogen Shani und ich in eine kleine Wohnung in Omer, wo wir darauf warten, dass in Omer ein Wohnwagenviertel für die Gemeinde Kissufim gebaut wird. Das wird wahrscheinlich ein Jahr dauern. Werden wir nach Kissufim zurückkehren? Ich weiß es nicht. Es ist schwierig, an einen so traumatischen Ort zurückzukehren. Besonders schwierig ist es, wenn die Regierung alles tut, um Frieden zu verhindern.
Dr. Yeela Raanan
Dieser Text wurde auf Englisch am 17. April 2024 auf der Facebook-Seite von Women Wage Peace gepostet. Weitere Berichte: https://www.facebook.com/womenwagepeaceenglish
Titelbild: Die Frauen von Women Wage Peace fordern auf täglichen Mahnwachen die Freilassung der Geiseln und solidarisieren sich mit ihren Familien. Foto: Women Wage Peace