28.08.2025 | Angesichts der geplanten israelischen Großoffensive auf Gaza-Stadt haben der lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, und der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III. dazu aufgerufen, die Gewaltspirale zu beenden.
800.000 Menschen droht die Vertreibung, darunter 1000 Christen
Zu den Patriarchaten von Kardinal Pizzaballa und Theophilos III. gehören die katholische bzw. die griechisch-orthodoxe Kirchengemeinde in Gaza-Stadt. In beiden Kirchen haben jeweils etwa 500 Menschen zu Kriegsbeginn Zuflucht gesucht und harren seitdem auf dem Kirchengelände aus. Unter ihnen ist der Großteil der weniger als 1.000 Christen, die noch in Gaza leben. Ihnen droht zusammen mit der gesamten Zivilbevölkerung, etwa 800.000 Menschen, die Vertreibung aus der Stadt in den Süden Gazas. Für das Gebiet, in dem sich die griechisch-orthodoxe St.-Porphyrios-Kirche befindet, hat das israelische Militär bereits einen Evakuierungsbefehl erteilt. Die katholische Gemeinde „Heilige Familie”, die in der Nähe der orthodoxen Gemeinde liegt, ist noch nicht von einem Evakuierungsbefehl betroffen.
Angriffe im Osten von Gaza-Stadt
Die israelische Regierung plant, die gesamte Stadt einzunehmen und zu besetzen, um die Hamas „zu besiegen”. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz drohte mit der kompletten Zerstörung von Gaza-Stadt, falls die Hamas nicht die Waffen niederlegt und alle Geiseln freilässt. „Bald werden sich die Tore der Hölle über den Köpfen der Mörder und Vergewaltiger der Hamas in Gaza öffnen”, kündigte Katz an. Die israelische Armee ist bereits in die Stadt eingerückt und hat Evakuierungsbefehle für einige Stadtviertel ausgesprochen. Der Leiter des „Palestinian NGO Network“ beschrieb der „taz“ das derzeitige Vorgehen des israelischen Militärs im Osten der Stadt: „Ganze Stadtviertel werden ausgelöscht, dem Erdboden gleichgemacht. Sobald sie in ein Gebiet einrücken, schaffen sie eine Situation, in der es kein Zurück mehr gibt. Sie entwurzeln die Menschen praktisch aus Gaza-Stadt.“
Kirchenführer: Geistliche und Ordensschwestern wollen bleiben und sich um die Schwachen kümmern
Die Kirchenführer erklären dazu: „Unter denen, die innerhalb der Mauern der Kirchenkomplexe Zuflucht gesucht haben, sind viele aufgrund der Strapazen der letzten Monate geschwächt und unterernährt. Gaza-Stadt zu verlassen und in den Süden zu fliehen, käme einem Todesurteil gleich. Aus diesem Grund haben die Geistlichen und Ordensschwestern beschlossen, zu bleiben und sich weiterhin um alle zu kümmern, die sich in den Kirchengemeinden aufhalten.“ Zu den Vertreibungsplänen der israelischen Armee stellen sie fest: „Wir wissen nicht genau, was vor Ort passieren wird – nicht nur mit den Christen, sondern mit der gesamten Bevölkerung. Wir können nur wiederholen, was wir bereits gesagt haben: Es kann keine Zukunft geben, die auf Gefangenschaft, Vertreibung der Palästinenser oder Rache basiert …“ Das ist nicht der richtige Weg. Es ist haltlos, die absichtliche und gewaltsame Massenvertreibung von Zivilisten zu rechtfertigen.“
An die internationale Gemeinschaft appellieren die Patriarchen, „sich für ein Ende dieses sinnlosen und zerstörerischen Krieges und für die Rückkehr der israelischen Geiseln einzusetzen”.
Hamas stimmt Waffenstillstand zu – Israel zögert
Dem jüngsten Vorschlag des US-Sondergesandten Steve Witkoff für einen Waffenstillstand hat die Hamas unter Vermittlung von Ägypten und Katar zugestimmt. Er sieht unter anderem eine 60-tägige Waffenruhe und die Freilassung der Hälfte der Geiseln sowie von mehr als 1.000 palästinensischen Häftlingen in Israel vor. Israel hat den Vorschlag bisher abgelehnt und fordert, dass alle Geiseln freikommen müssen. In Gaza werden noch 50 Geiseln von der Hamas festgehalten, von denen 20 noch am Leben sein sollen.
UN rufen Hungersnot in Gaza-Stadt aus
Die humanitäre Situation in Gaza-Stadt ist katastrophal: Es gibt kaum Essen und Wasser. Da aus dem Gebiet zunehmend Hungertote gemeldet werden und die akute Unterernährung unter Kindern dramatisch steigt, haben die Vereinten Nationen für Gaza-Stadt eine Hungersnot ausgerufen. In die Stadt gelangen bereits seit Monaten nur sehr wenige Nahrungsmittelhilfen. Keines der vier Verteilungszentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) liegt in Gaza-Stadt. Die GHF war nach der vollständigen Blockade Gazas von März bis Mai 2025 zeitweise die einzige Organisation, die Nahrungsmittel nach Gaza liefern und verteilen durfte. Von den wenigen Hilfslieferungen, die im Sommer in den Gazastreifen gelangten, kam nur ein Bruchteil über den nördlichen Grenzübergang Erez West, der in der Nähe von Gaza-Stadt liegt.
Israel: Hunderttausende demonstrieren für Frieden
Seit Tagen gehen in Israel bei Protesten gegen die Eroberung von Gaza-Stadt und für einen Waffenstillstand sowie die Freilassung der Geiseln hunderttausende Menschen auf die Straßen. Am 26. August 2025 versammelten sich 350.000 Menschen auf dem „Platz der Geiseln” in Tel Aviv.
Im Gaza-Krieg wurden 62.895 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet (Stand: 27.08.2025). Der Krieg begann mit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel, bei dem über 1.200 Israelis starben.
Update: 29.08.2025
Foto: Im Januar 2025 kehrten viele Palästinenser nach anderthalb Jahren Vertreibung im Rahmen der Waffenruhevereinbarung in ihre Häuser in Gaza-Stadt zurück. (Anas-Mohammed/Shutterstock.com)
Quellen und Links
Joint Statement by the Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem and the Latin Patriarchate of Jerusalem
Latin Patriarchate of Jerusalem, 26. August 2025
Orthodox Church in Gaza City ordered to evacuate by Israeli army
The Times of Israel, 27. August 2025
Reported impact snapshot | Gaza Strip
Ocha, 27. August 2025
Die letzten Stunden in Gaza-Stadt
taz, 26. August 2025
Hunderttausende machen Druck auf die Regierung
tagesschau.de, 26. August 2025
Schwelle zur Hungersnot laut UN überschritten
taz, 24. August 2025
Humanitarian Efforts Israel
COGAT, 24. August 2025
Famine in Gaza: ‘A failure of humanity itself’, says UN chief
United Nations, 22. August 2025
Israel genehmigt Einsatzpläne für Gaza-Stadt
tagesschau.de, 22. August 2025
Israel demands release of all Gaza hostages, casting doubt on ceasefire proposal
BBC, 19. August 2025