Evangelische Schule Ramallah: „Normaler“ Unterricht trotz Corona

An palästinensischen Schulen ist während der Corona-Pandemie eine Kombination aus Präsenzunterricht und E-Learning die Regel. Die School of Hope in Ramallah geht einen eigenen Weg. Wie das möglich ist, erläutert Mays Husary, die kommissarische Schulleiterin, in einem Interview.

Frau Husary, unterrichten Sie an der School of Hope auch nach dem Hybrid-Modell: also einer Mischung aus Präsenz- und Online-Unterricht?

Mays Husary: Nein, wir können alle SchülerInnen – vom Kindergarten bis zur Jahrgangsstufe 12 – täglich an der Schule unterrichten und betreuen. Wir sind zurzeit die einzige Schule in Ramallah, die das ermöglicht. Mich freut das, weil das unseren guten Ruf als evangelisch-lutherische Schule in der Region noch erhöht. Für unsere LehrerInnen bedeutet das allerdings Druck, weil wir den Unterrichtsstoff nun in sechs statt in acht Stunden täglich vermitteln müssen. Um in den Räumen den nötigen Abstand einhalten zu können, habe ich unsere Klassen aufgeteilt – statt 14 haben wir nun 24 Klassen. Wir brauchen also mehr Lehrkräfte als sonst. Da wir kein neues Personal einstellen können, reduzieren wir die Stundenzahl. Unser neues Schulgebäude hat zum Glück große räumliche Kapazitäten: Wir nutzen zurzeit auch die Aula, die naturwissenschaftlichen Laboratorien und die Bibliothek für den Unterricht – und sogar die Küche.

Wäre es dann nicht auch eine Entlastung, ein paar Stunden Online-Unterricht von zuhause anzubieten?

Sowohl die Kinder als auch die Eltern akzeptieren das E-Learning von zuhause aus nicht wirklich. In der Zeit des Corona-Lockdowns war es für die SchülerInnen sehr schwierig, sich zu konzentrieren, dem Unterricht zu folgen und sich an Regeln zu halten. Auch deswegen, weil die Internetverbindung sehr instabil ist und ständig bei dem einen oder der anderen abreißt. Es kommt auch auf das monatliche Datenvolumen an, nicht alle Familien können sich unbegrenzt verfügbares Internet leisten. Viele SchülerInnen nutzten im Frühjahr ihr Smartphone für den Unterricht, weil nicht für drei oder vier Kinder in Familien Laptops zur Verfügung stehen. Und das Smartphone ist kein geeignetes Medium für den Schulunterricht. Die Kinder fangen an, Spiele zu machen oder sich anderweitig abzulenken. Die Eltern waren auch oft genervt oder überfordert, weil sie keine Zeit hatten, ihren Kindern beim Bedienen der Computer-Programme oder beim Schulstoff zu helfen. Viele von ihnen wollten für die Phase des Lockdowns auch keine Schulgebühren zahlen. Da mussten wir mit vielen ins Gespräch kommen und einen Weg finden. Denn wir haben unser Bestes gegeben, um auch online bestmöglich zu unterrichten, obwohl wir uns von einem Tag auf den anderen umstellen mussten.

Hat diese Zeit bei den Kindern denn auch Spuren hinterlassen?

Ja, auf jeden Fall. Nach dem Corona-Lockdown und den anschließenden Ferien – also insgesamt sechs Monaten zuhause – waren die Kinder sehr überreizt, überdreht und nicht ausgelastet. Sie haben zu viel Zeit in der Wohnung verbracht, an der Playstation, vor dem Computer. Wir haben hier nicht viele öffentliche Parks mit Platz zum Austoben. Seit der Wiedereröffnung der Schule machen wir deswegen jeden Morgen und in den längeren Pausen 10 Minuten Zumba – eine Mischung aus Tanzen und Aerobic – zu Musik: in den Klassen 1-6, damit die SchülerInnen sich erst einmal abreagieren können. Anders als die öffentlichen Schulen unterrichten wir in allen Klassenstufen Sport und Musik. Teilweise machen wir das draußen, an der frischen Luft. So sind die Kinder viel ausgeglichener und konzentrieren sich besser. Wie wichtig eine regelmäßige Tagesstruktur ist und wie negativ der Lockdown gerade auf kleinere Kinder gewirkt haben muss, zeigt sich daran, dass unsere ErstklässlerInnen in manchen Dingen weiter sind als einige der ZweitklässlerInnen. Das ist erstaunlich. Ich denke, dass manche Kinder den großen Einschnitt und die Instabilität während ihres ersten Schuljahrs nicht gut verkraftet haben. Denn Schule ist sehr viel mehr als Unterricht! Sie ist auch ein sozialer Ort und so wichtig für die Kinder und Jugendlichen, um ihre FreundInnen zu treffen, sich auszutauschen und Bindungen aufzubauen.

Wie viele Fälle von Corona-Infektionen gab es bis jetzt in der School of Hope? Und was tun Sie, wenn ein Kind positiv getestet wird?

Bisher wurden drei unserer SchülerInnen positiv auf das Corona-Virus getestet, aber die Infektionen traten nicht zum gleichen Zeitpunkt auf. Bei einer einzigen nachgewiesenen Erkrankung an Covid-19 muss die ganze Klasse 24 Stunden zuhause bleiben und das Klassenzimmer wird gründlich desinfiziert. Der betroffene Schüler oder die Schülerin bleibt 14 Tage in Quarantäne. Auch diejenigen, die in direktem Kontakt mit dem infizierten Kind standen, müssen zwei Wochen in Quarantäne bleiben. Doch der Rest der Klasse kann nach einem Tag Pause wieder zum Unterricht kommen. Wir beobachten natürlich genau, ob eines der Kinder Symptome entwickelt. Grundsätzlich messen wir jeden Morgen bei allen Kindern die Körpertemperatur, zusätzlich testen wir im Laufe des Tages nochmal stichprobenweise in den einzelnen Klassen. SchülerInnen mit starken Erkältungs- oder Grippesymptomen dürfen nicht zur Schule kommen. Denn bei uns in Palästina gibt es bei weitem nicht genug Testkapazitäten. Selbst Menschen, die direkten Kontakt mit einer nachweislich mit dem Coronavirus infizierten Person hatten, können nicht getestet werden. Daher ermahnen wir die Kinder, konsequent ihre Masken zu tragen und sich körperlich nicht zu nahe zu kommen. Das ist aber sehr schwierig, denn die Kinder sind teils sehr eng miteinander. Viele schaffen es nicht, dauernd auf Distanz zu bleiben. Sollten parallel drei oder mehr Infektionen auftreten, müssen wir die ganze Schule 14 Tage schließen. Wir stehen in enger Verbindung mit dem Bildungs- und dem Gesundheitsministerium. Sobald es einen Fall gibt, kommt jemand aus dem Ministerium und unterstützt uns.

Hat die Corona-Krise neben allen Bedrohungen und Einschränkungen dennoch auch positive Seiten?

Ja, auf jeden Fall. Ich denke, wir können aus Krisen immer auch etwas lernen. Zunächst ist der Umgang mit einer Krise an sich eine wichtige Erfahrung. Daneben gibt es noch weitere positive Aspekte. Als der erste Lockdown unvermittelt kam, waren wir nicht vorbereitet auf den Online-Unterricht: weder die LehrerInnen, noch die SchülerInnen und Eltern. Wir haben mittlerweile riesige Fortschritte gemacht, was E-Learning betrifft! Es gab professionelle Schulungen für uns LehrerInnen und Schulleiterinnen von der Bildungsabteilung der lutherischen Kirche. Sich mit E-Learning besser vertraut zu machen, gehört in unserer heutigen Zeit dazu. Ohne die Pandemie wären wir diesen Schritt nicht gegangen. Was ich auch positiv finde, ist, dass unsere SchülerInnen sich zurzeit sehr gesund ernähren. Um Infektionen zu vermeiden, hat die Kantine geschlossen. Die Kinder bringen frisch zubereitetes Essen von zuhause mit und benutzen nur noch eigene Trinkflaschen. Süßigkeiten oder in Plastik eingewickelte Sandwiches werden auch nicht verkauft. Deswegen haben wir gerade sehr viel weniger Plastikmüll als in normalen Zeiten. Das ist gut für die Umwelt. Abschließend würde ich gern noch sagen, wie stolz ich auf unser Team an der Schule bin. Alle KollegInnen leisten wirklich viel. Auch die SchülerInnen! Und ich freue mich, dass die Eltern uns das Vertrauen entgegenbringen, dass wir in der Pandemie verantwortungsvoll handeln und ihre Kinder bei uns an einem sicheren Ort sind.

Interview: Silke Nora Kehl

Der Artikel erschien in der Ausgabe 3/2020 der Zeitschrift „Im Lande der Bibel“ mit dem Thema „Die doppelte Herausforderung – Leben mit dem Corona-Virus“.

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