03.03.2025 | Im Rahmen des 172. Jahresfestes des Jerusalemsvereins hat Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm am 2. März 2025 in der Französischen Friedrichstadtkirche über Amos 5,21-24 gepredigt.
„Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn ihr bringt mir rechte Brandopfer dar, und an euren Speisen habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder! Denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ (Amos 5,21-24)
Liebe Gemeinde,
die Worte des Propheten Amos tun so gut in diesen Zeiten! Denn sie sprechen Klartext. Sie sprechen Klartext in Zeiten, in denen Wahrheit und Lüge immer mehr verschwimmen. In denen man sich nicht einmal über klare Fakten einigen zu können scheint. In denen offensichtlicher Unsinn als Meinung verkauft wird, die geschützt werden soll.
Die Worte des Propheten tun gut, weil der Kompass verloren zu gehen droht. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ So heißt es beim Propheten Micha (Micha 6,8). Es scheint wie ein Echo aus einer vergangenen Welt, wenn heute die Stärke des Rechts immer mehr dem Recht des Stärkeren weicht. Wenn Hasstiraden zur normalen Kommunikationsform werden und die kommerziell programmierten Algorithmen im Internet sie auch noch befeuern, statt sie zu bremsen, und wenn dann die grundlegendsten menschlichen Umgangsformen ins Wanken geraten.
Und am besorgniserregendsten für Menschen, die sich an Heiligen Schriften orientieren, für die Religion die Grundlage ihres Lebens ist: Der Missbrauch von Religion zur Legitimierung von Lüge, Hass und Gewalt greift immer mehr um sich. Über solchen Missbrauch des Islam ist hierzulange schon viel geredet worden. Und es gibt auch Grund dafür. Denn radikale Fundamentalisten verbreiten immer wieder Angst und Schrecken. Oft haben Christen mit dem Finger auf Muslime gezeigt und sie für all das in Mithaftung genommen.
Und jetzt? Jetzt erleben wir, wie man sich bei dem brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der so viel schreckliches Leid anrichtet, auch noch auf das Christentum beruft, ja sogar von „Heiligem Krieg“ spricht. Es passiert genau das, was die Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe so klar verurteilt hat: „Wir bekräftigen …, dass Krieg nicht mit Gottes Natur und seinem Willen für die Menschheit vereinbar ist und gegen unsere grundlegenden christlichen und ökumenischen Prinzipien verstößt, und lehnen jeden Missbrauch religiöser Sprache und religiöser Autorität zur Rechtfertigung bewaffneter Angriffe und von Hass ab.“
Den gleichen Missbrauch religiöser Sprache zur Rechtfertigung von Unrecht erleben wir nun in dem Land, das wir doch so lange in den Grundorientierungen mit uns verbunden wähnten. Aber in den USA wurde ein Mann zum Präsidenten gewählt, der einen offenen Angriff gegen die Demokratie begonnen hat, der gegen Andersdenkende und Fremde hetzt, der weltweite Hilfe für die Schwächsten skrupellos abbaut und jetzt auch noch die Menschen im Gazastreifen, die schon bisher so viel schreckliches Leid erfahren haben, aus ihrem Land vertreiben will. Und genau dieser Mann wird von „christlichen Nationalisten“ als von Gott gesandter Retter gefeiert. Und in einem von ihm selbst geposteten, an Zynismus nicht zu überbietenden Video über Gaza als riesige goldene Statue gezeigt. Die Assoziation mit dem Goldenen Kalb aus der Bibel drängt sich geradezu auf.
Ich höre ihn, den Propheten Amos, wie er ruft: „Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn ihr bringt mir rechte Brandopfer dar, und an euren Speisen habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder! Denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Eine mutige Bischöfin, Marian Edgar Budde, ist dem Präsidenten entgegengetreten, ist ihm zur Prophetin geworden, in dem sie ihn einfach nur an die Worte der Bibel erinnert hat, daran erinnert hat, dass der, an den wir glauben, ein Beschützer der Schwachen, der Verletzlichen, der Fremden ist. Einer, der Barmherzigkeit geübt und Liebe ausgestrahlt hat. Der Präsident hat eine Entschuldigung gefordert. Und damit nur gezeigt, wie nichtig des Kaisers neue christliche Kleider sind. Niemals werden Christen sich irgendwo auf der Welt dafür entschuldigen, dass sie die Worte der Bibel lesen und das Evangelium predigen!
Wohin werden wir gehen als Land, als Kontinent, aber auch als Teil der Einen Welt? Setzen die Scharfmacher sich durch? Setzen sich die durch, die internationales Recht mit Füßen treten, die ganze Menschengruppen diffamieren, die Rassismus oder den alten unseligen Antisemitismus verbreiten und damit nichts anderes tun als Gott zu lästern? Oder setzen sich die Kräfte durch, die bei aller Unterschiedlichkeit in den jeweiligen Meinungen die Würde des Menschen ins Zentrum stellen, die jedem Menschen zukommt und gerade die besonders schützen soll, die schwach und verletzlich sind? Weil jeder Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes und deswegen unendlich kostbar!
Gerade jetzt ist es wichtig, die Frage zu stellen, aus welchen Quellen wir eigentlich leben. Was prägt die Grundperspektive, mit der wir ins Leben gehen? Ist es die des Zynikers, der die Welt schon längst aufgegeben hat? Ist es die des privaten Genießers, der wenigstens für sich selbst ein schönes Leben haben will, weil er meint, die Welt ja ohnehin nicht ändern zu können? Oder ist es eine Perspektive der Zuversicht und des Engagements für Gerechtigkeit und für die Überwindung von Gewalt?
Dietrich Bonhoeffer hat eine klare Antwort gegeben, indem er die christliche Existenz in drei Worten zusammengefasst: Beten, Tun des Gerechten und Warten auf Gottes Zeit.
Im Gebet öffnen wir uns für eine Erfahrung, die über das hinausgeht, was unsere Sinne und unser Verstand erfassen und begreifen können. Im Gebet können wir uns von der Seele reden, was uns beschäftigt. Und wir können uns von Gott etwas sagen lassen. Es hören. Und dadurch eine neue innere Freiheit gewinnen, die auch äußere Konsequenzen hat. Denn Beten ist nie nur etwas Innerliches. Beten ist immer untrennbar verknüpft mit dem Tun des Gerechten. Weil Jesus uns das Doppelgebot der Liebe mit auf den Weg gegeben hat: Gott lieben und den Nächsten lieben. Man kann Gott nicht lieben, man kann nicht zu Christus beten, ohne sich anrühren zu lassen von der Not der Anderen. Und die Worte des Amos wirklich zu hören: „Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen …Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder! Denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Immer wieder in der Geschichte der Kirche gab es Menschen, die diese Worte in ihre Zeit hineingesprochen haben. Etwa Dietrich Bonhoeffer selbst, der in seinen Predigten immer wieder konkret die untrennbare Verbindung von Beten und Tun des Gerechten eingeschärft hat. In einer Predigt am 29. Mai 1932 hier in Berlin legt er das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus aus (Lk 16,19-31). Er warnt dabei vor einer Vergeistigung dieses Gleichnisses – und zwar im Klartext: „Wir müssen ein Ende machen mit dieser unverfrorenen, scheinheiligen Vergeistigung des Evangeliums. Nehmt es, wie es ist oder hasst es aufrichtig.“ „… sollte es nicht vielleicht selbst schon eine Verhöhnung sein, diejenigen, die hier in Elend und Jammer leben, auf eine bessere Zukunft in einer anderen Welt zu vertrösten? Klingt es nicht fast so, als ob man diese Unglücklichen damit nur davon abhalten will, sich hier gegen ihr Geschick aufzulehnen? Als ob man sie selig preist, nur damit sie ruhig bleiben, wie sie sind und die anderen nicht belästigen? Ist es nicht geradezu zynisch, wenn man vom himmlischen Trost redet, weil man irdischen Trost nicht geben will?“
Wie, liebe Schwestern und Brüder, wie können wir stark im himmlischen Trost sein, und zugleich stark im irdischen Trost? Das ist die entscheidende Frage. Und wir ringen damit, gerade wenn es um die schreckliche, die unheilige Gewalt in dem Land geht, das wir doch so gerne „Heiliges Land“ nennen. Wir können mit dem Juden Jesus am Kreuz den Ps 22 rufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Und damit die Verzweiflung aufnehmen, die die Angehörigen der von der Hamas ermordeten und misshandelten Geiseln empfinden. Und mit der gleichen Intensität mit den Menschen im Gazastreifen und in der Westbank schreien, die ohnmächtig willkürlicher Militärgewalt und Bombardements der israelischen Armee ausgesetzt sind. Wir können einfach bei den Menschen sein, die so schreckliches Leid erfahren, egal auf welcher Seite sie stehen, für sie beten und ihnen beistehen. Und zugleich können, ja müssen wir alles in unseren Möglichkeiten tun, um ein Ende der Gewalt zu erreichen und Türen zu einem gerechten Frieden zu öffnen, in dem Israelis und Palästinenser friedlich und wechselseitigem Respekt gemeinsam in ihrem Land leben können.
Das Warten auf Gottes Zeit, das zur christlichen Existenz gehört, heißt nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen. Sondern es heißt, dass wir die Hoffnung nicht verlieren! Dass wir die Hoffnung nicht verlieren, weil wir wissen: Gottes Zeit kommt. Das Leid wird aufhören, das Geschrei wird verstummen, die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Wir werden alle sein wie die Träumenden. Unser Mund wird voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Und das Recht wird strömen wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Wir werden weiter beten. Wir werden weiter das Gerechte tun, wo immer es uns gegeben ist. Und wir werden warten auf Gottes Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm ist Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen und war Landesbischof der ELKB und EKD-Ratsvorsitzender.