31.08.2023 | In der Aufbruchsstimmung des Oslo-Friedensprozesses gründeten die Brüder Nadim und David Khoury 1994 die erste Brauerei in der Westbank. Trotz ungünstiger Bedingungen für Produktion und Vertrieb kann die Taybeh Brewery auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken.
Oktoberfest und Westbank – passt das zusammen? Dank einer kleinen Brauerei in der Nähe Ramallahs: ja. Tatsächlich wird seit 2005 in Taybeh das Oktoberfest gefeiert, und tausende Bierfreunde- und –freundinnen zieht es in die kleine Ortschaft.
Taybeh liegt auf einem der höchsten Hügel im Westjordanland, zwölf Kilometer nordöstlich von Ramallah. Es gilt als einziges komplett christliches Dorf im Heiligen Land. Mit Wurzeln, die bis in die Bronzezeit reichen, wird es in der Tradition mit den biblischen Stätten Ofra ( Josua 18,23) und Ephraim ( Joh 11,54) in Verbindung gebracht. Unter israelischer Besatzung haben viele Einwohner Taybehs ihr Glück in der Auswan- derung gesucht, heute sind noch etwa 1000 übrig.
Zwei Auswanderer entschieden sich 1994 – nach dem ersten Abkommen des Oslo- Friedensprozesses – aus den USA nach Taybeh zurückzukehren: die Brüder Nadim und David Khoury. Mit im Gepäck hatten sie eine waghalsige Idee. Sie wollten ein Unternehmen gründen, die erste Brauerei im Westjordanland. Nadim hatte 1982 in den USA das Bierbrauen als Hobby entdeckt. Als Geschäftsmänner hatten beide Khoury-Brüder Erfahrungen im Vertrieb von Bier gesammelt. Ihre Leidenschaft für den Gerstensaft konnten sie auf ihren in Taybeh gegbliebenen Vater Canaan übertragen, der für das Unternehmen den »Segen« vom damaligen Palästinenserpräsidenten Arafat einholte und mit dem Bau eines Gebäudes auf dem Familiengrundstück begann.
Schnell konnte Nadim seinen Traum als palästinensischer Braumeister verwirklichen und braute »Taybeh Golden« nach dem Deutschen Reinheitsgebot. Das handwerklich hergestellte Bier wurde in der Westbank und in Jerusalem gut angenommen, denn es unterschied sich fundamental von dem industriell gebrauten Bier, das bis dahin in Palästina und Israel ausgeschenkt wurde. Mit zunehmender Bekanntheit des Taybeh-Bieres vergrößerte die Familienbrauerei die Kapazität. In guten Jahren werden 600.000 Liter gebraut in Krisenzeiten, wie der 2. Intifada deutlich weniger. Auch die Corona-Pandemie bedeutete einen starken Einschnitt, von dem sich die Taybeh Brauerei aber inzwischen wieder erholen konnte.
Zum »Taybeh Golden« gesellten sich mit der Zeit neue Sorten: Dunkelbier, Weizenbier belgischer Art, »Winter Lager«, Indian Pale Ale und »Amber«, dessen Rezept von Nadim Khourys Tochter Madees stammt. Die 37-Jährige ist nach einem Wirtschaftsstudium in den USA und in Birzeit als Geschäftsführerin und Braumeisterin in den Familienbetrieb eingestiegen. Sie selbst vermutet, dass sie die einzige Braumeisterin im Nahen Osten ist.
Ein (gänzlich) alkoholfreies Bier braut Taybeh für Muslime und alle, die keinen Alkohol trinken möchten. Allerdings sollen nicht wenige Muslime im Westjordanland das Bier mit Alkohol bevorzugen. Es wird nicht nur an Hotels und Restaurants geliefert in denen Touristen, Pilger und die vielen Mitarbeitenden ausländischer Organisationen und Kirchen verkehren, sondern eben auch an Bars in Ramallah und anderswo, die von Einheimischen besucht werden. So können 50 Prozent der Produktion regional vertrieben werden. Die andere Hälfte wird nach Israel exportiert – ein Rabbi stellt dem Bier dafür ein Koscher-Zertifikat aus –, in die Vereinigten Arabischen Emirate, in die USA, nach Kanada, Großbritannien, Frankreich, Japan …
Mit der muslimischen Mehrheitsgesellschaft hat die Taybeh Brewery keine Probleme, abgesehen davon, dass es manchmal schwer ist, Arbeitskräfte zu finden. Viele Muslime wollen mit Alkohol nichts zu tun haben und folglich nicht in einer Brauerei arbeiten. Die Probleme infolge der Besatzung sind dagegen zahlreich: angefangen beim Wasser, dass die Brauerei nicht aus einem eigenen Brunnen entnehmen darf, sondern teuer von Israel beziehen muss, bis hin zum komplizierten, schikanösen und unsicheren Prozedere an den israelischen Checkpoints für den Warenverkehr (mehr dazu in dem Interview mit Canaan Khoury).
»Taste the Revolution« (Schmecke die Revolution) ist einer der Slogans von Taybeh. Für den Familienbetrieb ist das nicht nur ein wohlfeiler Werbespruch, sondern auch ein Hinweis auf
Widerständigkeit. Mit ihrer Brauerei im Westjordanland testet die Familie Khoury immer wieder die Grenzen des Machbaren aus und hat damit schon viel erreicht. Und das wird auch in diesem Jahr wieder auf dem palästinensischen Okoberfest gefeiert, am 22. und 23. September 2023 in Taybeh.
Henrik Weinhold
Nachgefragt: Canaan Khoury über Gegenwart und Zukunft von Taybeh
Wie ist die derzeitige wirtschaftliche Lage und wie wirkt sich die politische Situation in Palästina und Israel auf Ihr Unternehmen aus?
Unser Geschäft ist stark von der politischen Lage in Palästina bestimmt, und ich könnte stundenlang über die Probleme sprechen, mit denen wir konfrontiert sind. Wir kämpfen nicht nur tag täglich mit den Auswirkungen der Besatzung, sondern auch mit technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen. Eines der größten Probleme ist der Wassermangel. Wir dürfen unser eigenes Grundwasser nicht nutzen. Da die Westbank keine eigenen Außengren zen hat, sind wir beim Import von Rohstoffen und beim Export von unserem Bier von den israelischen Checkpoints für den Warenverkehr abhängig. Der Transport über die Kontrollstellen verursacht zusätzliche Kosten, die es uns unmöglich machen, auf lokaler und globaler Ebene wettbewerbsfähig zu sein. So kostet es uns beispielsweise mehr, das Bier von der Brauerei zum Hafen zu transportieren als vom Hafen nach Tokio in Japan! Außerdem sind wir stark auf Touristen und Menschen aus dem Ausland, die hier arbeiten, angewiesen, deren Zahl bei an- gespannter Lage stark abnimmt.
Wie funktionieren der Export Ihres Bieres und der Import der Rohstoffe genau?
Das Überqueren der Checkpoints ist ein langwieriger Prozess, mit einer besonderen Frachtabwicklung. Wir brauchen mehrere Fahrer und mehrere Lastwagen (ein palästinensisches Fahrzeug mit Fahrer auf der einen und ein israelisches auf der anderen Seite). Die Waren werden bei den Sicherheitskontrollen inspiziert und dabei auch beschädigt. Gestern erhielt ich von meinem Fahrer ein Bild, das den Urin der Kontrollhunde auf unseren Waren zeigt. Wir brauchen eine Genehmigung, um diese Kontrollstellen für Waren zu passieren. Diese wird erst kurz vor der Abfahrt des Schiffes erteilt. Infolgedessen verpassen wir oft das Schiff und haben dadurch hohe Kosten zu tragen.
Was unternehmen Sie im Moment, um Ihre Geschäftsmöglichkeiten zu erweitern?
Wir kreieren mehr Produkte, die lokale Zutaten für unsere Biere verwenden, da mit wir weniger von Importen abhängig sind. Wir haben auch eine neue Bierlinie mit dem Namen »Brewmaster Series« entwickelt, bei der es sich um eine limitierte Produktion von Bieren mit sehr interessanten Geschmacksrichtun gen handelt, z. B. das Sumac Sour, ein Bier mit säuerlichen Gewürz Sumach, oder das Herbal Lager mit Zaatar, Anis und Salbei. Wir haben ein alkoholfreies Malzbier kreiert, das auf einen viel grö ßeren Markt hier vor Ort zugeschnitten ist. Wir arbeiten auch daran, unseren Strom- und Wasserverbrauch zu senken: Durch eine eigene Solaranlage werden 70 Prozent unseres Strombedarfs gedeckt und wir bauen sie derzeit aus, um 100 Prozent zu decken. Wir tun unser Bestes, aber die derzeitige politische Situation mit den israelischen Restriktionen, die unsere Geschäftstätigkeiten betreffen, schränkt unsere Wachstumsmöglichkeiten stark ein.
Nächstes Jahr wird »Taybeh Golden« 30 Jahre alt – was ist Ihr Wunsch für dieses Jubiläum?
Wir hoffen, dass wir auf unsere Freiheit anstoßen können und sind optimistisch, dass wir eines Tages ein wichtiger Akteur in der Getränkeindustrie im Nahen Osten sein können. Wir haben das Knowhow, die Getränketechnologie und großartige Produkte; nur muss es uns auch möglich sein, wie überall auf der Welt zu wirtschaften.
Canaan Khoury ist Betriebsleiter der Taybeh-Brauerei. Die Fragen stellte Dr. Simon Kuntze
Aus: Im Lande der Bibel 2/2023
Foto: Taybeh Brewery