10.07.2024 | Während Israel die Kampfhandlungen in Gaza im Juli 2024 fortsetzt, ist das Leben der Bevölkerung seit Monaten von extremer Unsicherheit und Mangel an sauberem Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung geprägt. 90 Prozent der Bevölkerung sind Binnenflüchtlinge.
„Kein Ort und niemand ist in Gaza sicher“, fasst Andrea De Domenico die Situation der Bevölkerung in Gaza auf einer Pressekonferenz am 3. Juli 2024 zusammen. De Domenico ist Leiter des UN Office for the Co-ordination of Humanitarian Affairs (OCHA) in Palästina. „Wir haben immer wieder gesehen, dass Militäroperationen und Bombardierungen auch im Herzen der von Israel erklärten humanitären Sicherheitszone stattfinden“, sagte De Domenico. 1,9 Millionen Menschen, etwa 90 Prozent der Bevölkerung Gazas, seien auf der Flucht, manche mussten schon zum zehnten Mal den Aufenthaltsort wechseln.
Anfang Juli sind 250.000 Menschen in Khan Younis von einer israelischen Evakuierungsanordnung betroffen und müssen die Region verlassen.
Es mangelt an allem: Unterkünfte, Wasser, Lebensmittel, Medikamente
Einen Einblick in die humanitäre Lage dieser Menschen geben Mitarbeitende der Diakonie des nahöstlichen Kirchenrates (DSPR-MECC). Dem Ökumenischen Rat der Kirchen berichten sie von einer verzweifelten Bevölkerung, die nicht genug sauberes Wasser, Nahrungsmittel und Medikamente hat. DSPR-MECC betreibt mobile Gesundheitsstationen; ein großer Teil der stationären Gesundheitseinrichtungen in Gaza wurde zerstört.
Gesundheitsberater Dr. Bassam Abu Hamad berichtet, dass sich die gesundheitliche Situation vieler Menschen durch die massenhafte Belegung von Notunterkünften, wie Schulen, verschlechtert. „Mehr als 100 Menschen leben in einem Raum von der Größe eines Klassenzimmers zusammen“, sagt er. „Darüber hinaus erleben wir viele Krankheitsfälle, die auf Mangelernährung und Ernährungsunsicherheit zurückzuführen sind.“ Behandlungen sind wegen des Mangels an Medikamenten und an medizinischer Ausstattung oft nicht möglich. „Beten Sie dafür, dass die Waffenruhe endlich Realität wird“, sagt er angesichts dieser Situation.
„Für die gesundheitliche Versorgung brauchen wir hier dringend zusätzliche Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel für Kinder unter fünf Jahren sowie für schwangere und stillende Frauen“, ergänzt Abu Hamads Kollegin Lubna Yousif Sabbah. Auch der Zugang zu sicherem und sauberem Wasser fehle.
Anhaltende Hungerkrise
Das von der Welternährungsorganisation FAO entwickelte Programm Integrated Food Security Phase Classification (IPC) wertet weltweite Daten zur Ernährungssicherheit aus und prognostiziert die weitere Entwicklung. Die aktuelle Prognose für Gaza (Zeitraum Juni bis September 2024) zeigt eine Verbesserung der Ernährungssituation, wobei die Daten immer noch auf die weltweit schwerste Hungerkrise hindeuten. Mehr als 95 Prozent der Bewohner sind mindestens in der IPC-Phase 3, die als Hungerkrise bezeichnet wird, 33 Prozent in der Phase 4 und 23 Prozent in der Phase 5, einer katastrophalen Hungersnot mit extremer Unterernährung und Hungertoten. IPC betont dabei, dass noch keine Hungersnot mit vielen Toten ausgebrochen ist und sich die Situation im Norden Gazas durch die Wiederaufnahme von Nahrungsmittellieferungen über den Grenzübergang Erez (West) verbessert hat.
Hilfslieferungen kommen bei der Bevölkerung in Gaza nicht an
Die Angaben, wie viele Hilfslieferungen in den letzten Wochen in Gaza angekommen sind, sind stark umstritten und die von der israelischen Cogat-Behörde sowie von den Vereinten Nationen veröffentlichten Zahlen liegen weit auseinander. Allerdings weisen selbst die Zahlen von Cogat eine starke Diskrepanz zwischen der Anzahl von Lastwagen mit Hilfslieferungen auf, die nach der Ankunft an den Grenzübergängen von Cogat inspiziert wurden – 311 – und der Anzahl von Hilfslieferungen, die in Gaza von den Vereinten Nationen zur Verteilung in Empfang genommen wurden – 110 (Zahlen vom 30.06.2024). Damit übereinstimmend berichtet die BBC, dass sich vor den Grenzübergängen Hilfslieferungen ansammeln und nicht nach Gaza gelangen. Vertreter von Hilfsorganisationen betonen, dass u. a. die anhaltenden Kampfhandlungen und die zusammengebrochene Infrastruktur sowie fehlender Kraftstoff verantwortlich für die schleppende Verteilung der Hilfsgüter seien. Hilfslieferungen werden auch zunehmend geplündert, was durch den Zusammenbruch von Strukturen der inneren Sicherheit in Gaza erleichtert wird. Georgios Petropoulos, Leiter von OCHA in Gaza, schätzt, dass an manchen Tagen drei Viertel der Hilfslieferungen gestohlen werden.
Gaza-Stadt: Katholische Schule bombardiert, christliches Krankenhaus evakuiert
Nachdem sich das israelische Militär im Mai und Juni auf Operationen im Süden Gazas konzentriert hat, wurde Anfang Juli auch wieder Gaza Stadt bombardiert. Einwohner sprechen von einem der schwersten Bombardements seit Kriegsbeginn. Betroffen waren auch christliche Einrichtungen. Bei einem Angriff auf die katholische Holy Family School, in deren Gebäude sich viele Flüchtlinge aufhielten, starben vier Menschen, darunter der ehemalige Hamas-Arbeitsminister Ehab Al-Ghussein, der zuletzt die Regierungsgeschäfte im Norden Gazas führte. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem, zu dem die katholische Gemeinde in Gaza und Bildungseinrichtungen gehören, hat den Angriff scharf kritisiert. Das christliche Al-Ahli Arab Hospital musste aufgrund der Angriffe evakuiert und seine Patientinnen und Patienten in das bereits überfüllte Indonesische Krankenhaus verlegt werden.
Titelbild: Foto: Auf der Flucht – Einwohner Gazas wurden während des Kriegs bis zu zehnmal vertrieben
(© Themba Linden/UNOCHA)