Corona-Pandemie in Palästina: „Wir fürchten den Winter“

Über die Ausbreitung der Corona-Pandemie in Palästina berichtet die in Beit Jala niedergelassene Kinderärztin Ghada Asfour.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie in Palästina begann sehr wahrscheinlich bei uns in Beit Jala: Denn die ersten Fälle des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 in der Westbank wurden im Angel Hotel, das mitten im Ort liegt, registriert. TouristInnen hatten Mitarbeitende des Personals angesteckt. Das wurde am 3. März 2020 bekannt. Kurz darauf rief die Palästinensische Autonomiebehörde den Notstand aus – und einen strikten Lockdown. Dadurch konnte die Pandemie unter Kontrolle gehalten werden.

In Palästina ist Hebron das Zentrum der Pandemie

Aufgehoben wurde der Lockdown Ende Mai: mit der Auflage, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Daraufhin stiegen die Zahlen aktiver Fälle von Corona-Infektionen bis Anfang September um über 20 Prozent an. War bei der ersten Ausbruchswelle die Region Bethlehem am stärksten betroffen, wurde im Spätsommer und Herbst Hebron zum Zentrum der Pandemie. 7204 aktive Fälle waren in der ersten Septemberwoche registriert worden.

Damit war die Lage erstmals außer Kontrolle. Denn in Hebron leben 50.000 PalästinenserInnen, die regelmäßig zum Arbeiten nach Israel fahren. Und es gibt 270.000 Menschen, die im Negev wohnen und sehr oft nach Hebron kommen, zum Beispiel zum Einkaufen. Außerdem haben viele OstjerusalemerInnen Verwandte in Hebron. Im Sommer fuhren all diese Menschen hin und her. Es wurden Hochzeiten mit mehreren Hundert Gästen gefeiert, bei denen kaum jemand eine Maske trug oder den erforderlichen Mindestabstand einhielt. Dies gilt auch für Trauerfeiern. Deswegen konnte sich das Coronavirus ausbreiten.

Corona-Richtlinien der WHO werden in Palästina sehr ernst genommen

In der Region Bethlehem haben wir ein Covid-19-Krankenhaus mit vier Beatmungsgeräten. In dem Gebäude befand sich bis dahin ein Zentrum für Suchtkranke, das angesichts der Pandemie nun umgenutzt wird. Es gibt weitere Krankenhäuser, die sich auf die Behandlung von Covid-19-PatientInnen spezialisiert habe: zum Beispiel das „Hugo Chavez Krankenhaus“ zwischen Ramallah und Nablus, zwei Kliniken in der Nähe Hebrons – eine in Dura und eine in Halhol – sowie zwei weitere Krankenhäuser im Norden der Westbank. Unsere ÄrztInnen konnten die schwer erkrankten PatientInnen bislang gut versorgen und das palästinensische Gesundheitsministerium steht in enger Verbindung mit der WHO. Die Richtlinien der WHO werden sehr ernst genommen.

Wir befürchten, dass im Herbst und Winter die Fallzahlen nochmal ansteigen – besonders da die Kinder wieder zur Schule gehen. Es gab im September eine Zunahme an Fällen von Covid-19 an Schulen, sodass einzelne Klassen, aber auch ganze Schulen wieder schließen mussten. Die Situation verschlimmert sich also.

Außerdem erwarten wir jetzt in den kühleren Monaten die übliche Grippewelle. Es ist schwierig, zwischen dem Grippevirus und dem neuartigen Coronavirus zu unterscheiden, wenn jemand erkrankt. Es wird daher empfohlen, dass sich möglichst viele gegen die Grippe impfen lassen – vor allem jedoch Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen.

Dr. Ghada Asfour

Die Autorin ist Mitglied des Schulverwaltungsrates von Talitha Kumi und selbst Absolventin der Schule. Vom 15. März bis zum 1. Juni musste sie ihre Kinderarzt-Praxis aufgrund der Pandemie-Schutzmaßnahmen schließen. Während dieser Zeit wurden erkrankte Kinder im Caritas Hospital in Bethlehem behandelt.

Der Artikel erscheint in der Ausgabe 3/2020 der Zeitschrift „Im Lande der Bibel“ mit dem Thema „Die doppelte Herausforderung – Leben mit dem Corona-Virus“.