12.03.2023 | Eine deutsche EAPPI-Begleitperson berichtet über das freitägliche Gebet bei einem Graffiti an der Mauer in Bethlehem. Das Graffiti vom Künstler Ian Knowles zeigt eine Marien-Ikone.
„Our Lady who brings down walls“
Simon, EAPPI-Begleitperson, schreibt:
„An der Sperranlage, die Israel und die Westbank trennt, sieht man viele Graffitis. Seit der Errichtung der Mauer sind sie, wie hier in Bethlehem, künstlerischer Ausdruck des Widerstandes und der politischen Meinungsäußerung. Manche der Graffitis drücken Verzweiflung aus, andere Schmerz und wieder andere Hoffnung.
Zu letzteren zählt auch eine Ikone von Maria, die seit 2010 zu sehen ist und von dem Künstler Ian Knowles geschaffen wurde … Knowles hat zu verschiedenen Gelegenheiten berichtet, was ihm an seiner Ikone wichtig ist: Maria fasst sich mit der Hand an die Stirn, als ob sie in großem Schmerz ist. Für den Künstler ist dieser Schmerz das Leiden der Christ:innen vor Ort unter der Besatzung …
Das etwa 20-minütige Gebet am Freitagabend, an dem manchmal nur eine einstellige Anzahl von Personen, manchmal aber auch größere Gruppen teilnehmen, ist nicht spektakulär. Seine Intensität bekommt es viel mehr durch seine Beständigkeit und die Treue der Teilnehmenden seit vielen Jahren. Während des Rosenkranzgebets wird immer wieder Maria angerufen. Das Vaterunser wird gesprochen und zum Abschluss ein Lied gesungen.
Im Arabischen gibt es einen Begriff für diese Form der Standhaftigkeit: „sumud“. Sumud meint dabei keinen heroischen Akt der Befreiung durch Menschen, die unter Unterdrückung leben, sondern die entschiedene Resilienz, dass Aufgeben letztlich keine Option ist trotz täglich erlittenen Unrechts und zum Teil traumatischer Erfahrungen.
Bei verschiedenen Gesprächen hier in Bethlehem wurde uns deutlich, dass sumud eine wichtige Rolle im palästinensischen Streben nach Gerechtigkeit und Frieden spielt und nicht ausschließlich passiv zu verstehen ist. Im Festhalten (auch am eigenen Grund und Boden), im Dableiben (anstelle von Fliehen), im Aufrecht-Stehen (anstatt sich in die Opfer-Rolle zu begeben) liegt eine Kraft, die zuweilen erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.
Die Betenden an der Mauer an jedem Freitagabend zeigen eine beeindruckende fast trotzige, aber dennoch von großer Hoffnung getragene Widerstandskraft. Die 78jährige Nadia*, auf deren Land die Mauer gegen ihren Willen errichtet wurde und die bis heute, wenn es ihr gesundheitlich möglich ist, gestützt von anderen am Gebet teilnimmt, erzählt: „Einmal hat mich ein Grenzpolizist gefragt, was wir hier machen. Ich habe ihm gesagt, dass wir hier beten. Wofür, hat er dann weiter gefragt. Dass eines Tages diese Mauer nicht mehr steht, war meine Antwort. Das wird nie passieren, war er sich sicher. Da habe ich gesagt: Ich werde meine Hand so lange über die Mauer ausstrecken, bis sie jemand von der anderen Seite ergreift.“ …“
Simon, im Februar 2023
Ich nehme für das Berliner Missionswerk am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Diese Stellungnahme gibt nur meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die des Berliner Missionswerks oder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind.
*Name geändert
Foto: Wöchentliches Gebet an der Mauer in Bethlehem; © WCC-EAPPI/Simon