„Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen“ – Predigt auf dem 170. Jahresfest

21.02.2023 |Auf dem 170. Jahresfest des Jerusalemsvereins am Sonntag, 19.2.2023, hielt Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien) die Festpredigt  in der St. Marienkirche in Berlin über Lk. 12,49.

Liebe Gemeinde! Liebe Schwestern und Brüder aus unserer Partnerkirche!

Ich bin seit über 20 Jahren einmal im Jahr in Berlin beim Jerusalemsverein. Ich habe immer wieder erlebt, mit welchem Engagement hier Friedensarbeit geleistet wird in einer besonders explosiven Region dieser Welt. Ich habe mit zahlreichen Menschen gesprochen, die für den Frieden brennen.

Apropos brennen. Wir haben es in der Lesung schön gehört.

„Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte!“  (Lk. 12,49,  Lutherübersetzung)

Auf den ersten Blick ist das eine irritierende, ja befremdliche Aussage Jesu. Jesus ist doch der Inbegriff der Liebe. Wie passt das zusammen? Hier erscheint er eher als Pyromane, als Zündler, als Zerstörer, als Gegner des Friedens und Befürworter des Kriegs.

Und das kommt manchen Extremisten und Fanatikern durchaus gelegen. Jahrhundertelang wurde mit Feuer und Schwert der christliche Glaube verbreitet, auch im Heiligen Land. Die Kreuzzüge geben davon grausames Zeugnis. Aber es hat nicht gereicht, die Feinde des Christentums und die Ungläubigen in dieser Welt zu verbrennen, sie sollten auch noch im Jenseits heimgesucht werden, im besseren Fall im Fegefeuer geläutert werden, im schlechteren Fall erwartete sie das ewige Höllenfeuer. Und Jüdinnen und Juden wurden als Gottesmörder verfolgt und niedergemetzelt. Und auch bei der Vernichtung von Millionen von Jüdinnen und Juden in der Shoah im letzten Jahrhundert waren Christen beteiligt. Das antijüdische Gedankengut hat das Feuer des Hasses immer wieder entfacht, auch bei jenen, die nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hatten.

Aber das Feuer des Hasses gab es nicht nur in der Geschichte. Auch heute gibt es Christen, die sich besonders gerne auf Bibelstellen berufen, wie z.B. in der Offenbarung, wo die Feinde Gottes vernichtet werden. Das sind aber nicht nur irgendwelche Wunschprojektionen, solche Gedanken finden sich auch in politischen Programmen extremistischer Gruppierungen oder blutrüstigen Herrschern wieder, die oft mit Rassismus und Menschenverachtung einhergehen, einschließlich dem Aufruf zu einem Heiligen oder zumindest Gerechten Krieg, wie er in unserer Nachbarschaft in der Ukraine tobt.

Fanatismus und Intoleranz sind nicht auf das Christentum beschränkt. Es findet sich in allen Religionen und auch außerhalb davon.

So ein Feuer wollte Jesus niemals auf die Erde werfen. Er wollte die Herzen der Menschen entflammen, und das ist nicht ungefährlich, wie es sein Tod am Kreuz als Unruhestifter und Aufrührer bewiesen hat.

Denn auch ein Feuer der Liebe auf die Erde werfen, ist eine Kampfansage. Eine Kampfansage an die Herrschenden, an religiöse und politische Eliten, die ihre Ideologien manchmal skrupellos verfolgen und vor allem ihre Macht einzementieren wollen.

Dieses Feuer, von dem Jesus spricht, duldet keine faulen Kompromisse. Wer sich in bedingungsloser Liebe dem Bösen stellt, dem wird rasch ein Sturm entgegenfegen. Wer diese bedingungslose Liebe verkündigt und lebt, macht sich Feinde. Mit Gewalttätern kann man einfacher umgehen, die sind berechenbarer, mit denen kann man kurzen Prozess machen, aber einer, der gewaltfrei Widerstand leistet…?

Wenn wir zu unserer Partnerkirche in den Nahen Osten, nach Israel und Palästina schauen, dann leben dort Menschen, die sich als Brückenbauer betätigen und Versöhnung lehren und leben, aber von vielen Zündlern und Pyromanen umgeben sind.

Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman verglich sein Land auf einer der Antiregierungs-Demonstrationen der letzten Wochen mit Blick auf die geplante Justizreform in Israel mit einem Haus, das in Flammen steht. Und in der israelischen Tageszeitung Haaretz lautete eine Schlagzeile: „Has Netanyahu lost control of the Pyromanics around him?“

Der syrische Schriftsteller Rafik Schami hat eine eindrückliche Fabel über Streichhölzer geschrieben, die ich hier in aller Kürze wiedergebe.

„In einem großen Wald lebten Hunderte von Pinien stolz neben drei kleinen, schmächtigen Olivenbäumen, die aber nicht weniger stolz waren als die Pinien. Pinien-und Olivenbäume stritten miteinander, lachten einander aus. Jeder hielt sich für besser als der andere und hätte es am liebsten, wenn der andere verschwindet. Eines Tages sahen die Olivenbäume ein Streichholz auf dem Boden liegen. Das Streichholz flüsterte ihnen zu: Habt keine Angst, ihr bescheidenen, gütigen Olivenbäume. Ich will nur die Pinien anzünden. Sie haben die Pappel, meine Mutter beschimpft; ich will sie rächen. Zwei Olivenbäume sagten: „Was geht uns das an? Das Streichholz will ja nur die Pinien anzünden, und denen geschieht ja recht. Der älteste Olivenbaum witterte Gefahr und rief den Pinien zu: Holt den Wind, holt die Wolken. Lasst es regnen, damit das Zündholz keinen Schaden mehr anrichten kann. Die Pinien lachten aber höhnisch: Was kann schon ein Streichholz anrichten. Und andere witterten ihre Chance. Wenn es brennt, brennen die kleinen, hässlichen Olivenbäume ab. Dann holen wir Wolken und löschen das Feuer. Dann sind wir endlich unter uns. Der alte Olivenbaum wollte Wind und Regen herbeiholen, aber seine Arme waren zu kurz. Als die Sonne schien, rollte sich das Streichholz unter eine Glasscherbe, und es loderte schnell eine kleine Flamme auf. Das Feuer wurde größer, und es fraß die Pinien-und die Olivenbäume. Der ganze Wald brannte nieder.“

Und am Ende der Erzählung heißt es: „Seither lauschen alle Pinien der Welt den Berichten der Olivenbäume über das, was auf dem Boden geschieht. Und die Olivenbäume lauschen aufmerksam dem, was die Pinien von der Ferne erzählen. Tag für Tag aber springen Streichhölzer aus ihren Schachteln und lauern auf ihre Gelegenheit.“

In der Geschichte von Rafik Schami wollen auch die Pinien und Olivenbäume Frieden. Aber einen Frieden, bei dem es den anderen nicht mehr gibt. Auch in Israel und Palästina träumen Menschen von so einem Frieden, träumen davon, dass sie am nächsten Tag aufwachen und der andere einfach verschwunden ist.

Und warum träumen Menschen von so einem Frieden? Damit sie unter sich sind, sie niemand mehr stört und sie niemand mehr bedroht, auch wenn das eine Illusion ist. Schon jetzt gibt es die Spannungen und Konflikte in der jeweils eigenen Gesellschaft, was würde erst passieren, wenn der äußere Feind wegfiele. Nicht auszudenken.

Dem anderen nicht mit Hass sondern mit Liebe zu begegnen, schließt Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, aber auch Wachsamkeit mit ein und ein gerechtes Handeln, bevor es zu spät ist, bevor alles in Flammen aufgeht.

„Wir weigern uns Feinde zu sein“, ist der Wahlspruch einer christlichen Familie in der Westbank, die auf ihrem Grundstück, einem Hügel umgeben von mehreren jüdischen Siedlungen, ein Friedensprojekt initiiert hat. Es hat mich immer wieder fasziniert und auch Hoffnung gegeben, dass sich in feindseliger und angstgetränkter Atmosphäre Menschen aus verfeindeten Völkern und Religionen die Hände reichen über scheinbar unüberwindbare Gräben hinweg. Das gilt auch und besonders für unsere Partnerinnen und Partner im Heiligen Land.

Und das kann gefährlich sein. Wer sich mit dem Feind einlässt, wird schnell als Verräter gebrandmarkt. Friedenskämpfer werfen das Feuer der Liebe auf die Erde, nicht um zu zerstören, sondern um Versöhnung zu üben durch Schulbildung und Friedenserziehung. Anstatt Öl ins Feuer zu gießen, jagen sie dem Frieden nach. Das passt denen nicht, die alles für sich beanspruchen und den anderen nicht dulden.

Solange es möglich war, hat es ja auch gemeinsame Aktionen und Projekte evangelischer Schulen in Palästina mit jüdischen Schulen in Israel gegeben.

Der Apostel Paulus beschreibt in seinem Hohelied der Liebe leidenschaftlich und poetisch, was diese Liebe ausmacht. Ihre Aussagen ist nicht: Seid nett zueinander und gebt eine Ruhe sondern sie verlangt alles von dir ab.

In der Zürcher Übersetzung heißt es: Und wenn ich all meine Habe verschenke und meinen Leib dahingebe, dass ich verbrannt werde, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts….und dann sie (die Liebe) rechnet das Böse nicht an, sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich mit an der Wahrheit.

Und das ist auch das Feuer, das Jesus auf die Erde wirft.

Es soll nicht Menschen verbrennen und auch keine Olivenhaine, es soll nicht Terror im Land verbreiten, aber es soll die Selbstsucht, die Eigennützigkeit, den Fanatismus und die Gier der Menschen verbrennen. Jesus wirft dieses Feuer auf die Erde in eine Welt des Hasses, der Gewalt und der Niedertracht.

Das ist schon eine Kampfansage an die finsteren Mächte dieser Welt, aber eben nicht von Rachsucht sondern von Liebe getragen.

Diese Liebe gilt besonders den Schwachen, Benachteiligten, an den Rand gedrängten, den Unterdrückten und Gedemütigten. Diese Welt soll sich durch das Feuer Jesu radikal ändern. Dafür ist er bereit, sich selbst zu geben, sich hinzugeben, sein Leben hinzugeben. Um ihres Glaubens willen, um der Liebe zu den Menschen, um der Wahrheit willen, sind unzählige Menschen im Lauf der Geschichte verbrannt worden. Die andere positive Seite ist das Brennen für eine Sache.

Es heißt nicht umsonst „für etwas brennen“, leidenschaftlich sich einzusetzen für Gerechtigkeit und Frieden in Worten und Taten.

Ich glaube daran, dass das Feuer der Liebe stärker ist als das des Hasses.

Die Fabel von Rafik Schami ist durchaus übertragbar auf andere Konflikte und Feindseligkeiten. Wenn der Boden für Hass und Feindschaft bereitet ist, dann werden sich immer auch Streichhölzer finden, mit deren Hilfe die Pyromanen versuchen alles niederzubrennen. Christinnen und Christen dürfen die Hoffnung setzen auf jenes Feuer, das unsere Herzen entzündet, an dem Menschen sich wärmen können, und Gott uns dazu befähigt, einander über Gräben die Hände zu reichen und Brücken bauen statt Mauern zu errichten und Frieden zu stiften, einen Frieden, der diesen Namen auch verdient.

Landessuperintendent Pfarrer Thomas Hennefeld, Wien