28.03.2025 | Dietrich Gerstner berichtet über seinen dreiwöchigen Aufenthalt beim Tent of Nations, der ökologischen Familienfarm der christlich-palästinensischen Familie Nassar südlich von Bethlehem.
Dieser Aufforderung bin ich Anfang des Jahres gefolgt auf einer Reise nach Palästina und Israel. Nachdem ich mich in den vergangenen Jahren viel mit der Situation im Land beschäftigt hatte, wollte ich ganz praktisch solidarisch handeln. Darum verabredete ich einen Aufenthalt vom 27. Januar bis 15. Februar beim Tent of Nations, der ökologischen Familienfarm der christlich-palästinensischen Familie Nassar, die südlich von Bethlehem in den besetzten palästinensischen Gebieten liegt.
Unsere Aufgabe als Freiwillige war es, einerseits landwirtschaftlich mitzuarbeiten. Für mich hieß das, dass ich den Boden um Oliven-, Mandel- und Feigenbäume lockerte, Asche als Düngung einbrachte und Stroh um die Stämme verteilte, um die Bäume damit vor Austrocknung zu schützen. Daneben gab es viele andere Tätigkeiten, die mit einfachen Werkzeugen und viel Handarbeit ausgeführt wurden. Im Angesicht der großen Farm mit Rinderzucht und Gemüsebau auf der anderen Talseite in einer der israelischen Siedlungen war es wie ein Leben und Arbeiten unter „Dritter Welt“-Bedingungen. Andererseits geht es bei solch einem Einsatz um schützenden Präsenz, um sichtbares Arbeiten und Wohnen vor Ort. Vermutlich wäre der Berg nicht mehr im Besitz der Familie Nassar, wenn es nicht seit Jahrzehnten schon solch eine engagierte Unterstützung durch Besuche und permanente Freiwillige gäbe.
Untergebracht war ich ein einer Wohnhöhle, das Kompostklo war ca. 200 m entfernt, Duschen gab es nur kalt. Insgesamt waren wir die meiste Zeit sieben Freiwillige aus den Niederlanden, USA, Australien und eben ich.
Mitten in meinen Aufenthalt, der phasenweise sehr ruhig und fast idyllisch war, platzte eine neue Eskalation von Seiten der Siedler:innen! Innerhalb kürzester Zeit wurden acht Container direkt an der Grundstücksgrenze abgeladen und ein Baulager aufgebaut. Die Sorge ist, dass dies der Baubeginn für eine Siedlungserweiterung direkt am Kern des Tent of Nations ist. Daraus könnten durch das „Sicherheitsbedürfnis“ der israelischen Siedler:innen bedrohliche Probleme für die Existenz des Tent of Nations entstehen, denn normalerweise dulden Siedler:innen keine arabische Nachbarschaft neben sich. Schon am zweiten Tag wurde mit einem Bagger ein Graben für eine Stromleitung aufgegraben und nochmals ein paar Tage später standen Lichtmasten entlang der verbreiterten Siedlungsstraße zur Baustelle. Das ist der absolute Hohn, da es beim Tent of Nations keine Stromleitung gibt, auch ein Wasseranschluss ist verboten.
Und dennoch ging das Leben beim Tent of Nations trotzig weiter: Daher Nassar pflügte demonstrativ sein Feld direkt am Zaun, wir Freiwilligen setzten die Pflegearbeiten an den Bäumen und auf dem Land fort und Amal kochte Essen für uns alle. Damit wird gesagt: „Wir sind hier, das ist unser Land, wir geben nicht auf und lassen uns nicht entmutigen.“
Daoud Nassar beschrieb die Lage so: Wir könnten mit Wut und Gewalt reagieren oder wir könnten resignieren und uns nach innen zurückziehen oder wir könnten aufgeben und weggehen.
Wir haben uns aber für eine grundsätzlich andere Vision entschieden: Wir weigern uns, Opfer zu sein, sondern wir kämpfen für Gerechtigkeit. Wir weigern uns zu hassen, denn Hass zerstört uns selbst von innen. Wir handeln auf unerwartete und gewaltfreie Weise und in der Hoffnung (aber ohne die Erwartung!), dass wir Erfolg haben. Wir erwarten keine internationale Rettung z. B. durch die westlichen Staaten, aber die ganz praktische internationale Hilfe ist für die jetzige Zeit hilfreich.
Daher Nassar meinte dazu, dass die Israelis mit einer Perspektive von 100 Jahren voranschreiten würden, für sie Palästinenser:innen ginge es jeden Tag einfach ums Überleben: Wie verdiene ich beispielsweise etwas fürs tägliche Brot, komme ich abends wieder (gesund) nach Hause?!
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, wie ruhig und gelassen ich die Menschen in Palästina erlebt habe, wie friedlich sie mit den Schwierigkeiten und Demütigungen umgehen, wie trotzig sie trotz mancher Resignation betonen: „Wir bleiben hier.“ oder „Das ist meine Heimat, hier habe ich mein Leben, meine Freunde und Familie.“ Das ist es wohl, was „Sumud“ genannt wird, Standhaftigkeit.
Dietrich Gerstner (*1965) lebt seit 1996 mit seiner Frau Uta in der Basisgemeinschaft Brot & Rosen in Hamburg. Brot & Rosen ist eine Hausgemeinschaft, die mit obdachlosen Geflüchteten und Migrant:innen zusammenlebt. Aus befreiungstheologischer Perspektive setzen sie sich für Gerechtigkeit und praktische Solidarität ein. In den letzten Jahren hat sich durch persönliche Kontakte sein Engagement für die Menschen in Palästina und für Frieden in Gerechtigkeit in Palästina-Israel entwickelt.