Zuhause im Land der Bibel: Hans-Jürgen Abromeit – Eine Würdigung

Nach 23 Jahren als Vorstandsvorsitzender des Jerusalemsvereins legte Bischof em. Dr. Hans-Jürgen Abromeit dieses Amt nieder. Am 23. Oktober wurde Oberkirchenrat Wolfgang Schmidt, zuvor Propst in Jerusalem, zu seinem Nachfolger gewählt.

In dieser Würdigung blickt ein langjähriger Weggefährte, Prof. Roland Werner, auf das Wirken Hans-Jürgen Abromeits – sowohl in seinen zahlreichen Ämtern als auch auf der persönlichen Ebene – zurück.

Wie kann man ihn am besten beschreiben? Was fällt mir ein, wenn ich an Dr. Hans-Jürgen Abromeit denke? Vieles! Viele Titel, Funktionen, Verantwortungsbereiche: Bischof, Bonhoefferkenner, promovierter Theologe, westfälischer Pfarrer, Vorsitzender des Jerusalemsvereins, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bibelgesellschaft, Initiator, Prediger, Autor, Ehemann, Vater von fünf Kindern und manches mehr.

Doch der Begriff, der mir unmittelbar ins Herz fällt, ist schlicht und einfach: Bruder. So habe ich ihn kennengelernt, und so erleben ihn viele, nicht zuletzt die Christinnen und Christen in Palästina, in Jerusalem, Jordanien und Israel: Hans-Jürgen Abromeit ist ein im Tiefsten brüderlicher Mensch, wenn ich diesen etwas antik klingenden Ausdruck verwenden darf. Äußerlich nüchtern und unaufgeregt, doch innerlich warmherzig und Anteil nehmend, so setzt er sich zielstrebig und geduldig ein für viele Anliegen im In- und Ausland und nicht zuletzt für die Menschen im Lande der Bibel.

Bethlehem, Beit Jala, Beit Sahour, Ramallah, Amman, Jerusalem – diese Orte sind für ihn nicht nur Worte aus einem Atlas, sondern sind für ihn zu Herzensorten geworden, zu einem weiteren Zuhause. Und das stimmt – in geographischer und in geistlicher Hinsicht. Seine Heimat fand er in mindestens drei Regionen: in Westfalen, seinem Herkunftsbundesland, in Pommern, wo er viele Jahres seinen Dienstsitz als Bischof hatte, und im Heiligen Land, das ihm zum Herzensort wurde. Wie kam es zu dieser mehrfachen Beheimatung? Dazu helfen ein paar Schlaglichter auf das Leben des langjährigen Vorsitzenden des Jerusalemsvereins.

Geboren 1954 im westfälischen Gevelsberg studierte Hans-Jürgen Abromeit nach seinem Abitur ab 1973 Theologie in Wuppertal und Heidelberg. Sein zweites Vikariat führte ihn 1980/1981 nach Jerusalem und brachte ihn in engen Kontakt mit den einheimischen palästinensischen Christen. Die Verbindung zu ihnen zu halten, ihre Anliegen wahrzunehmen und ernst zu nehmen, sie zu stützen und zu stärken – das ist seitdem Herzenssache für ihn. Und so wurde er 1998 zum Vorsitzenden des Jerusalemsvereins im Berliner Missionswerk gewählt, ein Amt das er bis zum Herbst 2021 mit Leidenschaft und Herzblut ausfüllte.

Viele weitere Stationen seines Weges wären zu nennen: Pfarrer in Gevelsberg, Wissenschaftlicher Assistent für Praktische Theologie und Religionspädagogik in Münster, Dozent am Pastoralkolleg der Evangelischen Kirche von Westfalen und später am Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung in Villigst. Mittendrin eine Promotion über das Thema: „Das Geheimnis Christi. Dietrich Bonhoeffers erfahrungsbezogene Christologie“. Und schließlich 2001 der Ruf nach Greifswald in das bischöfliche Amt, als Westfale in Pommern, als Bewahrer und Neugestalter in einer Kirche, die sich in einem epochalen Umbruch befindet. All diese Erfahrungen haben Hans-Jürgen Abromeit nachhaltig geprägt.

Dabei ist für ihn – in allen theologischen und praktischen Fragestellungen und Aufgaben – wichtig, dass Jesus Christus die Mitte des Denkens und Lebens, Entscheidens und Handelns ist. Gerade aus dieser geistlichen und persönlich erfassten Mitte heraus konnte Hans-Jürgen Abromeit seinen Dienst als Bischof und auch als Vorsitzender des Jerusalemsvereins selbstbewusst und, wo nötig, auch widerständig führen.

Eines seiner Verdienste in der Zeit als Bischof war die Unterstützung der Errichtung des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung an der Universität Greifswald. Seine Arbeit in der Kammer der EKD für weltweite Ökumene sowie als Beauftragter des Rates der EKD für deutsch-polnische Beziehungen entsprang aus derselben christologischen Mitte, die uns den Blick öffnet für den ganzen Reichtum der Kirche Jesu Christi. Von Anfang seiner Bischofszeit an beschäftigte ihn die Zukunftsfähigkeit der Pommerschen Evangelischen Kirche. So wurde er zu einem Motor der Vereinigung der drei Kirchen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zur Nordkirche.

Als Vorsitzender des Jerusalemsvereins hielt Bischof Abromeit seinen lebendigen, intensiven Kontakt mit der Partnerkirche im Heiligen Land aufrecht. Viele Reisen, oft mit Pfarrgruppen aus Pommern oder in offiziellen Delegationen sowie auch viele persönliche Besuche, erneuerten und vertieften diese Verbindung immer wieder. Unter anderem unterstützte er das Zentrum „Dar al-Kalima“ (Haus des Wortes) in Bethlehem als stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins. Hinzu kamen weitere Ämter: im Kuratorium der Evangelischen Jerusalem-Stiftung sowie der Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung und auch im Verwaltungsrat des Deutschen Evangelischen Instituts für die Altertumswissenschaften des Heiligen Landes.

So ist ein zentraler Schwerpunkt seines Wirkens bis heute der Einsatz für die evangelischen Kirchen im Heiligen Land, verbunden mit einem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina. Auch hier ist sein geistlich-theologisches Fundament die schon im Studium gewonnene Erkenntnis, dass die Offenbarung Gottes eng verbunden ist mit der Geographie und Geschichte des Heiligen Landes als konkrete Verortung dieser Offenbarung.

Folgerichtig entspringt sein Einsatz für Frieden und Versöhnung neben den persönlichen Erfahrungen vor allem auch seinen theologischen Überzeugungen. Die Wahrheit der Bibel lässt sich nicht verstehen ohne ein Verständnis von Land und Geschichte. Das Land war schon immer eine Heimat für verschiedene Völker, mit denen Gott seinen jeweils eigenen Weg geht. Und nicht zuletzt, dass bei der Geburt des Messias Jesus die Engel über den Hirtenfeldern bei Bethlehem vom „Frieden auf Erden“ singen, war und ist für ihn Grund und Ansporn, für diesen Frieden zu werben.

Ein weiterer Schwerpunkt von Hans-Jürgen Abromeit ist sein Einsatz für die evangelischen Schulen im Heiligen Land. Auch dieses pädagogische Anliegen der Förderung von ganzheitlicher Bildung ist tief verwurzelt in seiner persönlichen Biographie als Dozent und Studienleiter in der pfarramtlichen Fortbildung und als Leiter von Haus Villigst.

Im Zentrum all dieser Aktivitäten jedoch ist die Eigenschaft, die Hans-Jürgen Abromeit in besonderer Weise auszeichnet: seine Fähigkeit, Freundschaft und Geschwisterschaft zu leben. Als „brüderlicher Mensch“ pflegt er ganz bewusst die über viele Jahre gewachsenen Freundschaften mit einer großen Anzahl von Christinnen und Christen im Heiligen Land, mit den Gemeindemitgliedern genauso wie mit vielen leitenden Persönlichkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL). Hier sieht Hans-Jürgen Abromeit sich als Christ unter Christinnen und Christen, als Teil der Familie Gottes, als einer der Nachfolger Jesu, als ein Lernender unter vielen anderen. Wir alle gehören zusammen und sind gemeinsam auf dem Weg.

Dass Hans-Jürgen Abromeit keine Kontroversen sucht, aber auch, wo es notwendig ist, sie nicht scheut, zeichnet ihn in besonderer Weise aus. Dabei gelingt es ihm immer wieder, zwischen Sache und Person zu unterscheiden. Auch hier habe ich viel von ihm lernen dürfen.

Mit welchen Worten kann ich Hans-Jürgen Abromeit also am besten beschreiben? Am Ende bleiben diese beiden: Bruder Bischof. Sie zeigen zwei Seiten, die bei ihm ganz eng zusammen gehören: die persönliche und die öffentliche. Danke für Deinen langjährigen Einsatz als Vorsitzender im Jerusalemsverein, Bruder Bischof!

 

Was Bischof Abromeit sich für die Zukunft wünscht

Es gibt den Jerusalemsverein – und das wieder mit einer langsam, aber stetig wachsenden Bedeutung und Wahrnehmung in Kirche und Gesellschaft. Als ich Ende der 1980er in den Vorstand gewählt wurde, hatten viele den Eindruck, dass der Verein ein auslaufendes Modell sei. Heute hat er einen kontinuierlichen Mitgliederbestand von 500 Mitgliedern. Es ist sehr wichtig, dass es den Jerusalemsverein gibt – als einzige Institution, die in Deutschland die ökumenische Partnerschaft mit palästinensischen Christinnen und Christen zum Zweck hat.

In dieser Partnerschaft werden wir reich beschenkt. Obwohl die aus der Arbeit des Jerusalemsvereins, der Kaiserswerther Diakonie und der Schneller Schulen hervorgegangene Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL) klein ist, hat sie eine immense Bedeutung. Das zeigt sich auch in ihren starken Repräsentanten und Repräsentantinnen, die das evangelische Anliegen in Israel, Palästina und Jordanien – ja fast in der ganzen Welt – eindrucksvoll darstellen. Außerdem ist die arabische lutherische Kirche für uns eine Brücke: in die Welt des orientalischen Christentums, in seine Kultur und Geschichte, sowie in die Orte und Landschaften der Bibel. Ich habe in den 40 Jahren meines Engagements für die Gemeinschaft mit unseren palästinensischen Geschwistern eine Veränderung meiner geistlichen Existenz erfahren: Sie hat mich in die Weite und Tiefe von Glauben und Leben geführt. Dafür bin ich zutiefst dankbar.

Natürlich scheide ich aus dem Amt mit einigen Wünschen für die Zukunft. Zuerst wünsche ich mir, dass nach so vielen Jahrzehnten der gewaltsamen Auseinandersetzung um das Land, dass nach vielen Kriegen, Terror und unendlichem Leid endlich der „Friede auf Erden“ eintritt, von dem bereits die Engel auf den Bethlehemer Hirtenfeldern zur Geburt Jesu gesungen haben (Lukas 2,14). In den vier Jahrzehnten, in denen ich nun den Konflikt aufmerksam beobachte, konnten wir nur Mitte der 1990er Jahre während des so genannten Oslo-Friedensprozesses Hoffnung schöpfen. Doch auch diese Hoffnung wurde enttäuscht – immer wieder scheint der Hass auf beiden Seiten zu siegen. Das macht mich unendlich traurig. Zweitens wünsche ich mir auch – und das ist ein bescheidenerer Wunsch –, dass die Verdächtigungen und Anfeindungen aufhören, denen unsere geistliche Gemeinschaft mit unseren palästinensischen Geschwistern immer wieder ausgesetzt ist. Es wäre wunderbar, wenn eines Tages in unseren Kirchen neben unserer nicht in Frage zu stellenden Verbundenheit mit Israel auch die Verbundenheit zu unseren palästinensischen Geschwistern selbstverständlich wäre.

 

Foto: Bischof em. Dr. Hans-Jürgen Abromeit mit Altbischof Younan (ELCJHL)