22.05.2025 | Inmitten des Krieges bieten die katholische und die griechisch-orthodoxe Gemeinde in Gaza-Stadt Schutz und Hoffnung. Von Zerstörung und Tod umgeben feiern die etwa 1000 in Gaza verbliebenen Christen Gottesdienste und stehen sich gegenseitig und ihren Nachbarn bei.
Nur noch 1000 Christen leben in Gaza
Zu Beginn des Krieges haben die meisten der etwa 1000 verbliebenen Christen in Gaza auf dem Gelände der katholischen Gemeinde Heilige Familie und dem der orthodoxen St-Porphyrios-Kirche in Gaza-Stadt Zuflucht gesucht. Eineinhalb Jahre nach Kriegsausbruch lebt die Mehrheit noch immer dort, zusammen mit den Geistlichen, Ordensleuten und einigen muslimischen Familien. So ist ihnen das Schicksal der meisten Bewohner Gazas – eine mehrfache Vertreibung – erspart geblieben, aber mit allen teilen sie die andauernde Erfahrung von nahen Kriegshandlungen und Bombeneinschlägen. Mitten im Kriegschaos feiern die Gemeinden regelmäßig Gottesdienste, kommen die Christen zum stillen Gebet in die Kirchen. Auf ihren Facebook-Seiten posten die Gemeinden fast täglich Fotos von ihrem geistlichen Leben und bleiben so mit Christen in aller Welt verbunden.
Katholische Gemeinde spürt die katastrophale Versorgungssituation in Gaza
Pater Gabriel Romanelli, der Pfarrer der Gemeinde Heilige Familie, beschreibt gegenüber dem katholischen Hilfswerk ACN International die Situation: „Es ist eine enorme Herausforderung, mit 500 Menschen auf so engem Raum zu leben. Aber wir sind trotz allem dankbar. Wir sagen hier: Wir leben mit Jesus, in seinem Haus. Und trotz aller Schwierigkeiten ist es uns gelungen, nicht nur zu überleben, sondern auch tausenden von Familien mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten zu helfen. Doch unsere Möglichkeiten sind limitiert, da die Grenzen seit einigen Wochen für humanitäre Hilfe geschlossen sind.“ Durch die israelische Blockade seit Anfang März 2025 musste die Gemeinde die Hilfen auf besonders bedürftige Menschen in der Nachbarschaft einschränken. Dramatische Worte über die Lage findet George Akroush, der für das Lateinischen Patriarchat von Jerusalem die Gaza-Nothilfe koordiniert: „Alles wird angegriffen. Absolut alles. Es herrscht Chaos. Die Christen sagen, sie sterben lieber hier mit ihren Kindern, als weiter durch Gaza zu irren – es gibt keinen einzigen sicheren Ort mehr.“ Gegenüber dem Hilfswerk missio (Aachen) berichtet er, dass es an allem fehlt: Nahrung, Treibstoff und Medikamente. „Dialysepatienten warten auf den Tod.“
Papst Franziskus telefonierte täglich mit der Gemeinde Heilige Familie
Die katholische Gemeinde in Gaza hatte in Papst Franziskus einen empathischen Beistand und Unterstützer. Fast täglich hat er nach dem Beginn des Krieges bis zu seinem Tod am Abend mit der Gemeinde telefoniert und ihr Mut zugesprochen. Franziskus hat verfügt, dass sein „Papamobil“ zu einer mobilen Klinik für Kinder in Gaza umgebaut werden soll. Es wird mit medizinischen Geräten für Diagnose und Behandlung ausgestattet und von Caritas Jerusalem auch in entlegenen Winkeln des Gazastreifens eingesetzt, sobald der humanitäre Zugang wieder möglich ist. Öffentlich hat sich Papst Franziskus stets für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina eingesetzt. Noch in seiner Osterbotschaft kritisierte er sowohl den Antisemitismus als auch den Krieg in Gaza scharf. „Den leidenden Christen in Palästina und Israel wie dem gesamten israelischen und palästinensischen Volk bekunde ich meine Nähe“, sagte er, „meine Gedanken [sind] bei den Menschen und insbesondere bei der christlichen Gemeinde im Gazastreifen, wo der schreckliche Konflikt weiterhin Tod und Zerstörung bringt und eine dramatische und unwürdige humanitäre Situation verursacht.“ Franziskus´ Nachfolger, Papst Leo XIV., hat bei seiner ersten Generalaudienz ein sofortiges Ende der Gewalt in Gaza und Zugang für humanitäre Hilfe gefordert.
Orthodoxe Gemeinde unterstützt auch muslimische Familien
Die griechisch-orthodoxe Kirche ist benannt nach Bischof Porphyrios von Gaza († 420). Das Gebäude stammt in seiner jetzigen Gestalt aus der Kreuzfahrerzeit. Nach der traditionellen Überlieferung steht sie auf den Fundamenten einer von Porphyrios gebauten Kirche und wäre damit die drittälteste Kirche weltweit. Wie auf dem Gelände der katholischen Kirche leben etwa 500 Menschen auf dem Gelände der St-Porphyrios-Kirche. Zu Anfang des Krieges lag die Zahl bei 1000. Der Orden des Heiligen Georgs dem Märtyrer, der innerhalb der griechisch-orthodoxen Kirchengemeinschaft die Nothilfe für die orthodoxen Christen in Gaza und ihre Nachbarn leistet, berichtet, dass in den letzten Monaten die Hälfte der ursprünglich in die Kirche geflüchteten Familien in ihre meist beschädigten Häuser zurückgekehrt oder bei Verwandten untergekommen ist. Diese Familien versorgt die orthodoxe Gemeinde mit Lebensmitteln, zusätzlich zu denen, die sich noch auf dem Kirchengelände befinden. Unter den Empfängern der Nothilfe sind auch 80 muslimische Familien. Auf dem freien Markt sind die wenigen vorhandenen Lebensmittel unerschwinglich. „Mehl kostet, wenn man es findet, 300 bis 400 Dollar pro Sack – ein Preis, den keine normale Familie zahlen kann. Es gibt kein Fleisch. Kein Obst. Keine Medizin. Keine Babynahrung. Keine Windeln“, schreibt der Orden über die Versorgungssituation. Glücklicherweise ist die Wasserversorgung der orthodoxen Gemeinde stabil – eine große Ausnahme in Gaza-Stadt – elektrischen Strom, Gas oder Treibstoff gibt es aber nicht.
Christliches Al-Ahli-Krankenhaus bombardiert
Seit dem Tod von zwei Frauen in der katholischen Gemeinde und bis zu 18 Personen in der orthodoxen Gemeinde Ende 2023 gab es unter den Christen keine weiteren direkten Todesopfer durch Kriegshandlungen auf den Kirchengeländen. Insgesamt sind während des Krieges bisher mehr als 50 Christen gestorben, viele davon aufgrund der mangelnden medizinischen Versorgung. Am 29. Juli 2024 schlug eine Rakete in einen Anbau der St-Porphyrios-Kirche ein, detonierte aber nicht. Mehrere Menschen wurden verletzt, und das Gebäude wurde schwer beschädigt. Das christliche Al-Ahli-Krankenhaus, das wie die Gemeinden im Stadtviertel Zeitoun liegt, wurde am 13. April 2025 durch israelisches Militär bombardiert und schwer beschädigt. Die Direktorin des Krankenhauses, Dr. Suhaila Tarazi, ist eine griechisch-orthodoxen Christin. „Mein Krankenhaus war eine Oase der Liebe und der grünen Gärten. Leider ist es nun ein Gräberfeld“, sagt sie in einem vom ÖRK veröffentlichen Interview. Sie fordert darin ein Ende des Krieges: „Für die Palästinenserinnen und Palästinenser, für unsere Brüder und Schwestern in Israel. Schließlich sind wir alle Gottes Kinder, ob wir nun jüdisch, christlich oder muslimisch sind. Das Wichtigste für uns alle ist ein friedliches und würdevolles Leben.“ Trotz der Verwüstung ihres Krankenhauses gibt sie die Hoffnung nicht auf: „In Gaza möchten wir weiterhin ein gutes Zeugnis unserer christlichen Gegenwart ablegen und Wunden heilen, alle Tränen trocknen und das Lachen der Kinder zurückbringen.“
Vollständige Blockade von Nothilfe soll beendet werden
Anfang 2025 bestand eine sechswöchige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas mit einem Austausch von Geiseln und Gefangenen sowie einem starken Zuwachs der genehmigten Hilfslieferungen. Ab dem 2. März blockierte Israel die Nothilfe für Gaza vollständig und führte ab dem 18. März wieder militärische Operationen durch. Dabei starben nach Angaben des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums allein am ersten Tag der wieder aufgenommenen Kriegshandlungen mehr als 400 Palästinenser. Die Hamas hält in Gaza noch 59 Israelis als Geiseln gefangen, von denen nur noch etwa 20 am Leben sein sollen.
Am 18. Mai erklärte Israels Premierminister Netanjahu, über einen begrenzten Zeitraum täglich 100 LKWs mit Hilfslieferungen zuzulassen. Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen kritisierten den Umfang der erlaubten Nothilfe als vollkommen unzureichend.
Update: 10.06.2025
Quellen:
Priester in Gaza: „Ein weiterer Kriegstag wird die Situation nicht lösen, sondern nur verschlimmern“
ACN International, 8. April 2025
Pfarrer befürchtet weitere Verschlechterung in Gaza
ORF.at, 23. April 2025
Christen in Gaza kämpfen ums Überleben
missio, 5. Juni 2025
Kein Anruf mehr aus Rom
taz, 22.04.2025
The Popemobile of Peace: Pope Francis’ final gift to Gaza
Vatican News, 4. Mai 2025
Papst Franziskus spricht Oster-Segen persönlich
ZDFheute, 20.04.2025
Papst Leo XIV. ruft zum Frieden in Gaza auf
Vatican News, 21. Mai 2025
The Body of Christ Is Bleeding in Gaza—And Still Giving Life
The Order of Saint George the Great Martyr, 14.05.2025
Direktorin eines Krankenhauses in Gaza: „Unser Glaube sagt uns, dass uns nach einer dunklen Nacht ein heller Morgen erwartet“
Ökumenischer Rat der Kirchen, 22.04.20025
Israel launches waves of strikes on Gaza with more than 400 reportedly killed
BBC, 18. März 2025
Ende der Gaza-Blockade „fadenscheinig“
tagesschau.de, 21.05.2025
Facebook-Seite der Kirche zur Heiligen Familie
Facebook-Seite der St.-Porphyrios-Kirche
Foto: Mädchen betet in der katholischen Kirche Heilige Familie (Quelle: Holy Family Church Gaza)